Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Bescheid des Beschwerdeausschusses. keine Aufhebung wegen fehlender mündlicher Anhörung der betroffenen Vertragsärzte
Leitsatz (amtlich)
Ein Bescheid des Beschwerdeausschusses über die Festsetzung eines Richtgrößenregresses kann nicht allein deshalb aufgehoben werden, weil die betroffenen Vertragsärzte nicht mündlich angehört worden sind.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Januar 2017 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten aus beiden Rechtszügen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen. Der Klägerin sind 5 % der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Vorverfahren notwendigen Aufwendungen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 281.362 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Regresses aufgrund einer Richtgrößenprüfung.
Die Klägerin ist eine ehemalige hausärztliche Berufsausübungsgemeinschaft (BAG; früher: Gemeinschaftspraxis) mit Praxissitz in N.. Sie bestand aus der Internistin Dr. O. und dem Internisten Dr. P., die miteinander verheiratet sind und im Jahr 2003 an der vertragsärztlichen Versorgung teilgenommen haben. Bei insgesamt 6.973 Behandlungsfällen verordnete die Klägerin in diesem Jahr nach den Angaben der Geschäftsstelle des Prüfungsausschusses Niedersachsen Arzneimittel im Gesamtwert von (brutto) 1.213.411,95 Euro.
Wegen einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um 133,55 % leitete der Prüfungsausschuss Niedersachsen gegen sie eine Richtgrößenprüfung ein, bei der er zunächst - im Wege der Vorabprüfung - die Bruttoausgaben um 26.329,82 Euro bereinigte und Praxisbesonderheiten im Wert von 138.737,09 Euro anerkannte. Mit Schreiben vom 4. Juni 2007 teilte er der Klägerin mit, dass sich der vorläufig errechnete Nettoregress auf 329.937,87 Euro belaufe; die Klägerin könne aber weitere Praxisbesonderheiten geltend machen.
Die Klägerin rügte daraufhin, die bisher vorgenommene Quantifizierung von Praxisbesonderheiten sei willkürlich und nicht nachvollziehbar. Es müssten weitere Praxisbesonderheiten anerkannt werden, ua nach der Anl 3.1 zur Richtgrößenvereinbarung (RGV) wegen der Verordnungen für PEG-Sondennahrung, für neurologische Erkrankungen, besonders kostenaufwendige Patienten sowie für „weitere Besonderheiten“; außerdem müsse ein Volumen von mehr als 300.000 Euro in Abzug gebracht werden, das auf die Weiterverordnung von Präparaten entfalle, die von fachärztlichen Kollegen erstverordnet worden seien. Darüber hinaus wies sie auf Datenfehler (Doppelverordnungen, Verordnungen für unbekannte Versichertennummern, nicht nachvollziehbares Verordnungsdatum, unrichtige Pharmazentralnummer ≪PZN≫, Hilfsmittel) hin und machte allgemeine Einwendungen gegen die Durchführung der Richtgrößenprüfung (RGV zu spät bekanntgegeben, Eintreten der Verjährung, der Höhe nach rechtswidrige Festsetzung der Richtgrößen, unrichtige Definition der Praxisbesonderheiten, Anspruch auf eine regressablösende Individualvereinbarung) geltend.
Im Anschluss setzte der Prüfungsausschuss Niedersachsen einen Regress iHv 309.703,24 Euro fest. Dabei erkannte er Praxisbesonderheiten iHv 112.986,29 Euro und als zusätzliche Besonderheit einen Verordnungsumfang von 50.096,28 Euro für vier Versicherte mit besonderem Versorgungsbedarf sowie „sonstige Abzüge“ iHv 98,16 Euro an.
Hiergegen legte die Klägerin am 29. November 2007 Widerspruch ein und kündigte eine Begründung mit gesondertem Schriftsatz an. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2009 beantragte sie ihre mündliche Anhörung vor dem Beschwerdeausschuss. Nachdem ihr die Terminsmitteilung vom 11. November 2010 zur Sitzung des Beklagten am 6. Dezember 2010 zugegangen war - mit der die Möglichkeit zur persönlichen Anhörung angeboten wurde -, beantragte sie die Verlegung des Termins, weil die Ärztin Dr. O. aus gesundheitlichen Gründen an der Sitzung nicht teilnehmen könne. Hierzu legte sie eine fachärztliche Bescheinigung der Psychiaterin Dr. Q. vor. Der Beklagte lehnte den Verlegungsantrag ab, weil evtl medizinische Rückfragen des Ausschusses durch Herrn Dr. R. beantwortet werden könnten (Schreiben vom 18. November 2010).
Daraufhin legte die Klägerin mit Schreiben vom 6. Dezember 2010 eine schriftliche Widerspruchsbegründung vor, die per Fax am selben Tag bei der Prüfungsstelle Niedersachsen einging. Sie machte geltend, das zugrunde zu legende Bruttoverordnungsvolumen liege ausweislich der ihr vom Beklagten zugesandten CD-ROM bei lediglich 1.023.901 Euro. Außerdem wiederholte und ergänzte sie ihren Vortrag zu Fehlern im Datenmaterial und trug vor, das Richtgrößenvolumen hätte bei korrekter Einordnung freiwillig versicherter Rentner um 12.889,36 Euro niedriger ausfallen müssen. Zu Praxisbesonderheiten führte sie ua aus, das Praxisprofil werde dur...