Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Richtgrößenregress. keine Verpflichtung der Prüfgremien zu Hinweisen für die Anerkennung einer Praxisbesonderheit bei vorheriger Anhörung
Leitsatz (amtlich)
Die Prüfungsgremien in der Richtgrößenprüfung sind nicht verpflichtet, den Vertragsarzt im Rahmen der vorherigen Anhörung darauf hinzuweisen, welcher Vortrag geeignet ist, um eine Praxisbesonderheit anerkennen zu können.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 16. Dezember 2010 geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Klage- und des Berufungsverfahrens zu tragen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 17.470 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Festsetzung eines Regresses wegen unwirtschaftlicher Verordnung von Arzneimitteln auf der Grundlage einer Richtgrößenprüfung.
Der Kläger war im Jahr 2002 als Allgemeinmediziner in E. niedergelassen und nahm als “dörflicher Landarzt„ an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Bei insgesamt 6.589 Behandlungsfällen verordnete er im Jahre 2002 Arzneimittel im Gesamtwert von (brutto) 581.809,45 Euro. Wegen einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um 69,67 % leitete der Prüfungsausschuss Niedersachsen gegen ihn ein Richtgrößenverfahren ein, bei der er zunächst im Wege der Vorabprüfung die Brutto-Ausgaben um 5.582,88 Euro bereinigte und Praxisbesonderheiten im Wert von 74.849,54 Euro anerkannte. Mit Schreiben vom 27. Juli 2006 teilte der Prüfungsausschuss dem Kläger mit, dass sich der vorläufig errechnete Nettoregress auf 63.103,29 Euro belaufe.
Der Kläger gab daraufhin an, dass er “eine Praxis mit vollständiger Familienmedizin vom Kleinkind bis zum pflegebedürftigen Alten mit wenig fachärztlicher Beteiligung„ betreibe. Daraus ergebe sich ein ausgesprochen hoher Verordnungsanteil an sonst eher fachärztlichen Präparaten. Dies sei als Praxisbesonderheit zu berücksichtigen. Außerdem machte er Praxisbesonderheiten nach Anl 3 zur Richtgrößen-Vereinbarung (RGV) und die Behandlung besonders kostenaufwendiger Fälle bzw spezieller Krankheitsbilder geltend.
Mit Bescheid vom 8. Dezember 2006 setzte der Prüfungsausschuss Niedersachsen einen Regress in Höhe von 32.325,38 Euro fest. Praxisbesonderheiten wurden im Umfang von 108.496,62 Euro anerkannt. Dabei entfielen 29.004,76 Euro auf die präparatebezogene Berücksichtigung nach der Anl 3.1 der RGV, 36.851,77 Euro auf die fallbezogene und indika-tionsabhängige Berücksichtigung nach der Anl 3.2 der RGV und 31.230,78 Euro auf sog weitere Praxisbesonderheiten. Außerdem berücksichtigte der Prüfungsausschuss das Verordnungsvolumen für einzelne Versicherte als Praxisbesonderheiten in Höhe von insgesamt 11.409,31 Euro. Zusätzlich nahm er weitere Abzüge (zB für Verordnungen von Hilfsmitteln, Impfstoffen, Medizinprodukten und ggf bei unklaren Datensätzen) in Höhe von 1.586,83 Euro vor.
Hiergegen richtete sich der Kläger mit seinem Widerspruch vom 2. Januar 2007, zu dessen Begründung er ua geltend machte, er betreue ca 100 Patienten in verschiedenen Altenheimen. Mit Bescheid vom 20. August 2009 gab der Beklagte dem Widerspruch in Höhe von 14.855,23 Euro statt und reduzierte den Regress auf eine Summe von 17.470,15 Euro. Zugunsten des Klägers stufte er freiwillig versicherte Patienten, die die Altersgrenze von 65 Jahren überschritten hatten und bisher als Mitglieder (M) bzw Familienangehörige (F) geführt worden waren, als Rentner (R) ein. Der Umfang des dem Kläger zugutegehaltenen Differenzbetrages wurde auf 6.702,40 Euro festgesetzt. Darüber hinaus wurden Praxisbesonderheiten nach Anl 3.1 und 3.2 der RGV in Höhe von insgesamt 45.944,46 Euro anerkannt. Aufgrund des Vortrags des Klägers erkannte der Beklagte zusätzlich zu den bereits in der Vorab-Prüfung anerkannten Fällen die Versicherten mit den Versicherungs-Nrn 003016536004, 003072500009, 146099173 und 544244819 als Versicherte mit besonderem Versorgungsbedarf an und rechnete sämtliche für diese getätigten Verordnungen aus dem Versordnungsvolumen des Klägers heraus (insgesamt 40.277,22 Euro). Schließlich erkannte er “weitere Praxisbesonderheiten„ in Höhe von 31.143,51 Euro an.
Der Kläger hat am 25. August 2009 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Zur Begründung hat er nochmals auf die besondere ländliche Lage seiner Praxis hingewiesen. Durch ihn müssten viele fachärztliche Verordnungen übernommen werden. Auch die Weiterverordnung von fachärztlich angesetzten Medikamenten erfolge durch ihn. Dem Regressbescheid des Beklagten sei nicht zu entnehmen, warum die weiteren vom Kläger benannten Patienten mit besonderem Versorgungsbedarf nicht als Praxisbesonderheit anerkannt worden seien. Hinzuweisen sei zudem auf einen Schwerpunkt bei der Behandlung von Atemwegserkrankungen (Asthma und COPD) und bei der Behandlung von Patienten in verschiedenen Altenheimen. Der Kläger sei ...