Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Richtgrößenprüfung. kein ausreichend substantiierter Vortrag zu Praxisbesonderheiten durch Vertragsarzt. Regressbescheid. keine Rechtswidrigkeit wegen Fehlens einer näheren Begründung über Nichtanerkennung von Praxisbesonderheiten
Leitsatz (amtlich)
Hat der Vertragsarzt zu Praxisbesonderheiten - hier: im Verfahren der Richtgrößenprüfung - nicht ausreichend substantiiert vorgetragen, ist der daraufhin ergehende Regressbescheid nicht deshalb rechtswidrig, weil er keine nähere Begründung dazu enthält, warum Praxisbesonderheiten nicht anerkannt worden sind.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 13. April 2011 geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 3.024,- Euro festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Richtgrößenregresses.
Der Kläger nimmt als Facharzt für Allgemeinmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung in E. teil. 2001 verordnete er Arznei- und Verbandmittel iHv 1.570.956,49 DM (brutto) und überschritt damit die fachgruppenbezogene Richtgröße um 52,09 vH.
Im Anschluss setzte der Prüfungsausschuss Niedersachsen gegen den Kläger einen Richtgrößenregress iHv 92.893,32 DM fest. Dabei berücksichtigte der Ausschuss Praxisbesonderheiten des Klägers iHv 127.854,85 DM und weitere Abzüge iHv 38.828,54 DM (Bescheid vom 9. Dezember 2005).
Auf Widerspruch des Klägers setzte der beklagte Beschwerdeausschuss den Richtgrößenregress demgegenüber iHv 5.913,81 DM fest. Dafür bereinigte der Beklagte zunächst die Daten der verwandten Einzelverordnungsstatistik iHv 43.898,93 DM (wegen fehlerhaft enthaltenen Hilfsmittelverordnungen, nicht dem Datensatzformat entsprechenden Datensätzen, Verordnungen aus dem Jahr 2000). Ferner stufte er freiwillig versicherte Patienten, die die Altersgrenze von 65 Jahren überschritten hatten und bisher als “Mitglieder„ (M) bzw “Familienangehörige„ (F) geführt worden waren, als “Rentner„ (R) ein; dies führte zu einem zusätzlichen Differenzbetrag zugunsten des Klägers iHv 36.704,64 DM. Außerdem erkannte der Beklagte weitere Praxisbesonderheiten des Klägers iHv 54.853,17 DM (laut Anl 1 des Bescheids) an (nach den Anl 3.1 und 3.2 der Richtgrößenvereinbarung ≪RGV≫, wegen der Verordnung von Anti-Parkinsonmitteln und Anti-Depressiva, drei Patienten mit einem besonderen Versorgungsbedarf). Weitere Besonderheiten seien aber nicht ersichtlich (Bescheid vom 5. Februar 2008).
Der Kläger hat am 8. Februar 2008 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Die Richtgrößenprüfung sei in mehrfacher Hinsicht formell rechtswidrig (ua treuwidrig späte Einleitung des Prüfverfahrens, zu späte Veröffentlichung der Richtgrößen für 2001, falsche Ermittlung der Richtgröße für 2001, Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs). Zudem seien die der Richtgrößenprüfung zugrunde gelegten Verordnungsdaten in hohem Maße fehlerhaft. Ferner habe der Beklagte die Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten intransparent gehandhabt und die im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Praxisbesonderheiten nur unzureichend berücksichtigt.
Das SG hat mit Urteil vom 13. April 2011 den Bescheid des Beklagten vom 5. Februar 2008 (unter Benennung des Beschlussdatums vom 27. November 2007) aufgehoben und ihn verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Zunächst sei der Bescheid mangels einer ausreichenden Begründung iS von § 35 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) rechtswidrig. Der Beklagte habe nicht ausreichend dargelegt, weshalb er nur drei der insgesamt 89 vom Kläger benannten Patienten mit einem besonderen Versorgungsbedarf als Praxisbesonderheit anerkannt habe. Anhand der Ausführungen in dem Bescheid bleibe unklar, welcher Patient mit welchen Verordnungen noch als “normal„ bzw als “schwer„ angesehen werde. Da sich die Vertragsärzte aber gegen die mit Richtgrößenregressen verbundenen Eingriffe im Wesentlichen nur durch die Darlegung von Praxisbesonderheiten wehren könnten, sei zu verlangen, dass zumindest ein sachgerechter, plausibler und nachvollziehbarer Grund für die Festlegung der Grenze zur Praxisbesonderheit im Regressbescheid dargelegt (oder später nachgeschoben) werde. Ferner habe der Beklagte die vom Kläger bereits im Verwaltungsverfahren vorgetragene Rüge, die aufgelisteten Pharmazentralnummern mit dem Eintrag “4E+08„ etc seien mangelhaft, sowie die substantiiert geltend gemachte Sonderbelastung durch mehr zuzahlungsbefreite Patienten nicht hinreichend berücksichtigt. Hinsichtlich der weiteren vom Kläger in formeller und materiell-rechtlicher Hinsicht geltend gemachten Einwendungen sei der Bescheid des Beklagten aber nicht zu beanstanden.
Gegen dieses Urteil (zugestellt am 30. Juni 2011) wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung vom 14. Juli 2011. E...