Entscheidungsstichwort (Thema)
Soldatenversorgung. Wehrdienstbeschädigung. Radarmechaniker. Einsatz an Radargeräten. gutartiges Tumorleiden. Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs. Abschlussbericht der "Radarkommission". antizipiertes Sachverständigengutachten
Leitsatz (amtlich)
Der Abschlussbericht der "Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee (NVA) - Radarkommission" kann als sog. antizipiertes Sachverständigengutachten zumindest insoweit sozialgerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt werden, als die Anerkennung eines gutartigen Tumorleidens (Meningeom) als Folge eines Einsatzes an Radargeräten nicht in Betracht kommt.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der 1946 geborene Kläger begehrt die Anerkennung einer Tumorerkrankung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung sowie die Gewährung von Ausgleich nach § 85 Soldatenversorgungsgesetz (SVG).
Der Kläger leistete vom 1. April 1965 bis 31. März 1977 Wehrdienst als Soldat auf Zeit, zuletzt im Rang eines Oberfeldwebels. Er war als Radar- und Raketenmechaniker an dem Flugabwehrraketensystem “HAWK„ eingesetzt, welches u.a. mit einem Radargerät ausgestattet war. Der genaue Zeitraum der Exposition gegenüber Radarstrahlung ist zwischen den Beteiligten streitig: Während die Beklagte behauptet, dass der Kläger nur vom 1. November 1967 bis 27. April 1968 direkt an Radargeräten eingesetzt gewesen sei und danach an den HAWK-Geräten LCHR, Loader, Missile und MTS gearbeitet habe (Aktenvermerk vom 10. Oktober 2002, Bl. 294 WDB-Akte), trägt der Kläger vor, von 1967 bis 1976, also über neun Jahre als Mechaniker an Radargeräten gearbeitet zu haben (vgl. Schriftsatz vom 2. Juni 2004).
Im Mai 2001 wurde beim Kläger ein Gehirntumor (Meningeom) diagnostiziert, den er auf die Strahlenbelastung während des Wehrdienstes zurückführt. Wegen dieser Erkrankung wurde der Kläger am 18. Juni und 6. August 2001 im G. (H.), I., operiert.
Nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) ist beim Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 anerkannt (Bescheid des Versorgungsamtes J. vom 13. Mai 2002). Diese Feststellung beruht u.a. auf der der Gesundheitsstörung “Seelische Störung, Gleichgewichtsstörung, Narbe nach Hirnoperation„ mit einem verwaltungsinternen Einzel-GdB von 50.
Auf den Antrag des Klägers vom 4. Juli 2001, dem er ein Attest des Neurologen Dr. K. vom 29. August 2001 beifügte, zog die Beklagte die den Kläger betreffenden Personal- und medizinischen Unterlagen (einschließlich G-Karte) bei. Außerdem veranlasste sie eine ärztliche Untersuchung durch den Stabsarzt L., M., und eine Berechnung der Personendosis des Klägers gemäß § 35 Röntgenverordnung (RöV) durch Dr. N. (Wehrbereichsverwaltung Nord - Öffentlichrechtliche Aufsicht - Arbeitssicherheit/Technischer Umweltschutz), wonach die Gesamtdosis für die Zeit vom 1. November 1967 bis 27. April 1968 insgesamt 1,09 Millisievert (mSv) betrug.
Daraufhin lehnte die Beklagte die Anerkennung der Gesundheitsstörung “Hirntumor„ als WDB-Folge sowie die Gewährung von Ausgleich mit der Begründung ab, dass es an einem Ursachenzusammenhang zwischen dem Tumorleiden und der Radarstrahlung fehle. Die beim Betrieb von Radargeräten entstehende Hochfrequenzstrahlung (HF-Strahlung, elektromagnetische Felder) entwickle beim Auftreten auf den menschlichen Körper zwar eine spürbare Wärme, verursache Schädigungen grundsätzlich jedoch nur im Rahmen eines Unfallgeschehens. Die ionisierende Strahlung (Röntgenstrahlung), die ausschließlich beim Betrieb der Anlage auftrete, könne nur bei Tätigkeiten unmittelbar an den Senderschränken zu Gesundheitsschäden führen. Insgesamt habe die Strahlenbelastung des Klägers während seiner Tätigkeit als Flugabwehrraketenelektronikunteroffizier “D„ bzw. -feldwebel von November 1967 bis Juni 1975 nur unwesentlich über der nach der Europäischen Grundnorm (RL 96/29/EURATOM) für die allgemeine Wohnbevölkerung zulässigen Jahresdosis von 1 mSv gelegen (Bescheid vom 31. Mai 2002).
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, dass bei Wartungs- und Reparaturarbeiten die erforderlichen Sicherheitsabstände nicht hätten eingehalten werden können. Es sei zu Hautkontakten gekommen. Bei Reparaturen seien Röhren und Chassis teilweise so heiß gewesen, dass ein Austausch nur mittels Arbeitshandschuhen möglich gewesen sei. Während der Bereitschaftsphasen seien die Radargeräte zu keinem Zeitpunkt ausgeschaltet gewesen. Auch hätten die vorgeschriebenen Sicherheitshandschuhe und Bleischürzen nicht zur Verfügung gestanden.
Die Beklagte zog daraufhin die den Kläger betreffenden Behandlungsunterlagen des H. sowie den Bericht der Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee (NVA) - Radarkommission - vom 2. Juli 2003 bei und holte einen Befundbericht des Neurologen Dr. K. sowie beratungsä...