Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenübernahme für stationäre Liposuktion. Voraussetzung für den Anspruch auf Potentialleistung außerhalb eines Erprobungsverfahrens. Berührungs- und Druckschmerzen sowie rezidivierende Hämatome entsprechen keiner schwerwiegenden Erkrankung. kein Erfüllen der Voraussetzungen von § 4 Abs 2 bzw Abs 3 QLipRL trotz eines Lipödems im Stadium III. Herleitung des Kostenübernahmeanspruchs durch Umgehung der Voraussetzungen der QLipRL mit Verweis auf Potentialleistung nach § 137c Abs 3 S 1 SGB 5 nicht möglich
Leitsatz (amtlich)
1. Potentialleistungen außerhalb eines Erprobungsverfahrens dürfen nur dann in Anspruch genommen werden, wenn eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, für die nach dem jeweiligen Behandlungsziel eine Standardtherapie nicht oder nicht mehr zur Verfügung steht (BSG, Urteil vom 25.3.2021 - B 1 KR 25/20 R = BSGE 132, 67 = SozR 4-2500 § 137c Nr 15, RdNr 19, 40 ff).
2. Berührungs- und Druckschmerzen und rezidivierende Hämatome im Bereich der Oberarme und Oberschenkel sind keine schwerwiegenden Erkrankungen in diesem Sinne.
3. Werden die engen Voraussetzungen der §§ 4 Abs 2 und/oder 4 Abs 3 der mit Wirkung vom 7.12.2019 in Kraft getretenen RL über Maßnahmen zur Qualitätssicherung nach § 136 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB V bei Verfahren der Liposuktion bei Lipödem im Stadium III (QS-RL Liposuktion, juris: QLipRL) selbst bei Vorliegen eines Lipödems Stadium III nicht erfüllt, kann ein Anspruch auf die Kostenübernahme für eine stationäre Liposuktion nicht unter Umgehung der vom GBA festgesetzten Voraussetzungen mit Verweis auf das Potential der Methode unmittelbar aus § 137c Abs 3 S 1 SGB V hergeleitet werden.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 8. Januar 2021 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Kostenübernahme für stationäre Liposuktionen.
Die am ... 1971 geborene Klägerin leidet an Lip-Lymphödemen an den Oberarmen und an den Beinen.
Die Klägerin beantragte am 23. Dezember 2016 bei der beklagten Krankenkasse die Kostenübernahme einer Liposuktion. Nach der beigefügten Bescheinigung des Dr J., Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie, vom 13. Dezember 2016 bestand ein Lipödem der unteren und oberen Extremitäten vom Typ IV, Stadium 2, bei einer Größe von 163 cm und 85,5 kg. Trotz langfristiger manueller Entlastungstherapien seien keine Besserungen der Beschwerden erzielt worden. Aufgrund dessen seien 2-3 Operationen an den Beinen bds und eine Operation an den Armen bds stationär zwingend notwendig. Nach dem ebenfalls beigefügten Bericht des Dr K., Facharzt für Chirurgie, Gefäßchirurgie und Phlebologie, vom 12. August 2016 bestand eine medialseitig umschriebene, eher noch diskrete Ödemzone prätibial. Es sei neben den konservativen Maßnahmen eine schonende Liposuktion zur Reduzierung der Schmerzsymptomatik, zur Vorbeugung eines chronischen Lymphödems zu empfehlen. Dadurch könne eine langfristige manuelle Lymphtherapie vermieden werden.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 2. Januar 2017 ab, eine Kostentragung einer Liposuktion komme aus rechtlichen Gründen weder stationär noch ambulant in Betracht. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 10. Januar 2017 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2017 zurückwies. Eine Kostenübernahme einer ambulanten Liposuktion gehöre nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung. Es handele sich um eine sogenannte „neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode“. Diese gehöre nur dann zur Leistungspflicht der Krankenkasse, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) aufgrund eines eigenen Bewertungsverfahrens eine positive Empfehlung für die Methode abgegeben habe. Eine solche Empfehlung liege zurzeit noch nicht vor. Ebenfalls scheide die Übernahme einer stationären Liposuktion aus. Diese komme nur in Betracht, wenn die Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse genüge. Es müsse sichergestellt sein, dass die Behandlung ungefährlich sei und dass auch der angestrebte Erfolg, die Beseitigung des krankhaften Zustandes, mit Sicherheit eintreten werde. Dies könne erst garantiert werden, wenn große Forschungsstudien die Wirksamkeit einer Liposuktion nachwiesen. Daran fehle es vorliegend.
Die Klägerin hat dagegen am 29. Mai 2017 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Aurich erhoben und vorgetragen, sie leide langjährig unter der Erkrankung mit deutlicher Zunahme der Umfänge an den Extremitäten nach der Schwangerschaft 2010. Behandlungsalternativen in Form von Ernährungskursen, Ernährungsberatung, Versorgung mit Kompressionsstrümpfen, Abklärung hormoneller Ursachen seien ausgeschöpft. Die Kompressionsversorgung könne aufgrund einer fortgeschrittenen Funktionsminderung am linken Handgelenk nur unter großen Schmerzen selbst bewältigt werden. Daneben seien auc...