Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensanrechnung bei einer gemischten Bedarfsgemeinschaft. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Arbeitslosengeld II. Erwerbstätigkeit. Freibetrag. Härteklausel
Orientierungssatz
1. Bezieht ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB 2, das andere Leistungen des SGB 12, so handelt es sich um eine sog. gemischte Bedarfsgemeinschaft. Besonderheiten bei einer gemischten Bedarfsgemeinschaft, welche sich aus dem Regelungskonzept des SGB 2 ergeben, ist mit Hilfe von Härteregelungen Rechnung zu tragen, weil die Leistungssysteme nur unzulänglich aufeinander abgestimmt sind.
2. Verfügt der Leistungen des SGB 2 beziehende Ehegatte nicht über Einkommen, welches dessen notwendigen Lebensunterhalt übersteigt, so sind die ihm gewährten Leistungen in entsprechender Anwendung des § 82 Abs. 1 S. 1 SGB 12 wie die Leistungen nach dem SGB 12 zu behandeln und als einsetzbares Einkommen bei der gegenseitigen Berücksichtigung von Einkommen bei Mitgliedern einer gemischten Bedarfsgemeinschaft nicht anzurechnen.
3. Damit bleibt das entsprechende Arbeitslosengeld 2 im Rahmen des § 82 Abs. 2 S. 1 SGB 12 gänzlich unberücksichtigt, vgl. BSG, Urteil vom 09. Juni 2011 B 8 SO 20/09 R.
4. Die Berechnung der Sozialhilfeleistung nach Maßgabe des SGB 12 darf nicht dazu führen, dass nach der Zielsetzung des SGB 2 geschontes Einkommen gleichwohl zu Gunsten der dem SGB 12 unterworfenen Personen eingesetzt werden muss. § 82 Abs. 3 S. 3 SGB 12 enthält eine generelle Härteklausel für alle denkbaren Einkommen. Nur so sind unbillige Ergebnisse zu vermeiden und ist eine Harmonisierung bei Leistungen nach unterschiedlichen Grundsicherungssystemen zu erreichen.
Normenkette
SGB XII § 19 Abs. 2, § 41 Abs. 1 Nr. 1, § 43 Abs. 1, § 82 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Sätze 1, 3; SGB II § 11 Abs. 1 S. 1
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 4. Juni 2009 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die zweitinstanzlich angefallenen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anrechnung des Einkommens der Ehefrau des Klägers auf dessen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für den Monat November 2007.
Der 1938 geborene, in Osnabrück wohnende Kläger bezog jedenfalls seit November 2006 Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, zuletzt mit Bescheid vom 7. September 2006 bis Oktober 2007. Er verfügte weder über Einkommen noch Vermögen. Seine im Leistungsbezug nach dem SGB II stehende Ehefrau übte bis zum 31. Oktober 2007 eine geringfügige Beschäftigung als Zustellerin aus. Das Einkommen für den Monat Oktober in Höhe von 139,51 € wurde ihr im November 2007 ausgezahlt. Für den Monat November 2007 bezog sie vom SGB II-Leistungsträger (AGOS Osnabrück; im Folgenden: AGOS) gemäß Bescheid vom 21. November 2007 Leistungen in Höhe von 479,89 € (280,39 € Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie 199,50 € Kosten für Unterkunft und Heizung). Dabei rechnete die AGOS das Einkommen abzüglich einer Werbungskostenpauschale gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II in Höhe von 100,00 € sowie des Freibetrages gemäß § 30 Nr. 1 SGB II aF in Höhe von 7,90 € mit einem Betrag von 31,61 € auf den Regelbedarf von 312,00 € an.
Auf den Folgeantrag des Klägers vom 13. September 2007 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 1. November 2007 bis zum 31. Oktober 2008 (Bescheid vom 27. September 2007) in Höhe von 431,29 € monatlich ab dem 1. November 2007 (312,00 € Regelbedarf, 165,00 € Mietkosten, 23,85 € Heizkosten abzüglich eines nach dem Durchschnittsverdienst der Vormonate errechneten anrechenbaren Einkommens der Ehefrau des Klägers in Höhe von 69,56 €). Mit Aufhebungs- und Änderungsbescheid vom 6. Dezember 2007 änderte die Beklagte die Höhe der Leistungen u.a. für den Monat November 2007 auf 400,68 €. Die Ehefrau des Klägers habe Mitte November 2007 den Lohn für Oktober 2007 in Höhe von 139,51 € erhalten. Dieser höhere als der zunächst zugrunde gelegte Betrag sei als Einkommen bei der Berechnung der Höhe der Grundsicherungsleistungen zu berücksichtigen. Das anrechenbare Einkommen aus Erwerbstätigkeit betrage 94,02 €, unter Berücksichtigung eines Alg II-Einkommens von 507,00 € ergebe sich ein anrechenbares Gesamteinkommen von 100,17 €. Es liege eine Überzahlung in Höhe von 30,61 € vor. Den gegen den Bescheid vom 27. September 2007 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2008 zurück.
Der Kläger hat am 2. Juli 2008 Klage erhoben und die Gewährung von Leistungen ohne Anrechnung des Einkommens seiner Ehefrau begehrt. Da die Ehefrau selbst von Sozialleistungen lebe, dürfe ihr Einkommen ausschließlich von der Behörde berücksichtigt werden, die ihr Sozialleistungen gewähre. Die Kürzung der Grundsicherungsleistungen des Klägers durch Anrechnung des beim Alg II nicht zu berücksichtigenden Einkommens der Ehefrau umgehe das Gesetz. ...