Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung bei Erwerbsminderung. Einkommenseinsatz. befristeter Zuschlag gem § 24 SGB 2 des Ehepartners. keine Anrechnung vor dem 8.12.2006. keine zweckbestimmte Leistung iS § 83 SGB 12. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die am 7.12.2006 in Kraft getretene Änderung des § 82 Abs 1 SGB 12 hat sich keine Rückwirkung beigelegt und ist auch nicht als Klarstellung dahingehend aufzufassen, dass der befristete Zuschlag nach § 24 SGB 2 von Beginn an nicht als Einkommen berücksichtigt werden sollte.

2. Dessen ungeachtet ist zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen SGB 2 und SGB 12 und einer vor Art 3 Abs 1 GG nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der befristete Zuschlag auch vor dem 7.12.2006 nicht als Einkommen zu berücksichtigen (Anschluss an BSG vom 23.3.2010 - B 8 SO 17/09 R).

 

Orientierungssatz

Der befristete Zuschlag gem § 24 SGB 2 ist nicht als anrechnungsfreie Leistung gem § 83 Abs 1 SGB 12 anzusehen.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 18. Oktober 2007 aufgehoben.

Der Bescheid der Beklagten vom 18. April 2006 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2006 und der Aufhebungs- und Änderungsbescheid vom 15. Januar 2007 werden geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 2006 Grundsicherungsleistungen ohne Anrechnung von Arbeitslosengeld II- Einkommen seiner Ehefrau zu gewähren.

Die Beklagte erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob auf die Grundsicherungsleistungen des Klägers Arbeitslosengeld II (Alg II)-Einkommen seiner Ehefrau - insbesondere in Form des befristeten Zuschlags - in der Zeit von Juni bis Dezember 2006 bedarfsmindernd anzurechnen ist.

Der am 5. Juni 1957 geborene Kläger ist seit 1990 auf Dauer voll erwerbsgemindert und erhält Grundsicherungsleistungen nach § 41 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Seine mit ihm wohnende im Mai 1959 geborene Ehefrau bezieht Alg II nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Zum Haushalt gehört außerdem die am 21. August 1984 geborene Tochter G..

Ab Juni bis November 2006 erfolgte die Alg II-Bewilligung mit Bescheid vom 4. Mai 2006, monatliche Leistung 591,86 € bis Oktober, 582,56 € für November. Der befristete Zuschlag nach § 24 SGB II betrug für die Monate bis Oktober 2006 115,00 €, für den Monat November 2006 106,00 €. Die Bewilligung für die 6 Monate ab 1. Dezember 2006 erfolgte mit Bescheid vom 15. November 2006, der Zuschlag betrug nunmehr 58,00 €.

Auf den Folgeantrag des Klägers vom 5. April 2006 wurden ihm Grundsicherungsleistungen mit Bewilligungsbescheid vom 18. April 2006 für die Zeit ab 1. Juni 2006 bis 31. Mai 2007 bewilligt, monatlich 379,21 €. Das Alg II- Einkommen seiner Ehefrau wurde als bedarfsminderndes Einkommen berücksichtigt, soweit es ihren notwendigen Lebensunterhalt nach dem SGB XII überstieg, nach Berechnung der Beklagten zunächst 101,79 €. Der Kläger legte Widerspruch mit der Begründung ein, das Einkommen seiner Ehefrau in Form des befristeten Zuschlags dürfe bei ihm nicht als Einkommen angerechnet werden. Der befristete Zuschlag solle den Einstieg in die Armut erleichtern. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2006 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass gemäß § 43 Abs 1 SGB XII das Einkommen des Partners zu berücksichtigen sei. Die Ehefrau des Klägers erhalte Alg II in Höhe von monatlich 591,56 € und habe dadurch iS des § 43 Abs 1 SGB XII ein den eigenen Grundsicherungsanspruch überschreitendes Einkommen in Höhe von 101,79 €. Dieses Einkommen sei gemäß § 82 SGB XII auf die Leistungen des Klägers bedarfsmindernd zu berücksichtigen. Der Zuschlag des § 24 SGB II sei keine gemäß § 83 Abs 1 SGB XII anrechnungsfreie Leistung.

Mit Aufhebungs- und Änderungsbescheid vom 15. Januar 2007 wurde der Bescheid vom 18. April 2006 ab 1. November 2006 aufgehoben und Grundsicherungsleistungen neu für den Monat November 2006 in Höhe von 318,08 € und für Dezember 2006 in Höhe von 463,14 € und ab Januar 2007 bis Ende Mai 2007 in Höhe von monatlich 483,50 € bewilligt. Zur Begründung wurde angegeben, dass die Ehefrau seit November 2006 monatlich 100,00 € verdiene und der Zuschlag sich auf 58,00 € vermindert habe. Ab Januar 2007 sei dieser Zuschlag im Rahmen der Grundsicherung bei der Ermittlung des überschreitenden Einkommens der Ehefrau anrechnungsfrei. Im November 2006 habe sich ein überschreitendes Einkommen in Höhe von 165,42 € ergeben, im Dezember ein überschreitendes Einkommen in Höhe von 20,36 €. Ab Januar 2007 errechne sich kein überschreitendes Einkommen seiner Ehefrau.

Der Kläger hatte bereits am 18. August 2006 Klage beim Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben. Er hat vorgetragen, dass das Alg II-Einko...

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