Entscheidungsstichwort (Thema)
Unternehmerähnliche Tätigkeit. Arbeitnehmerähnliche Tätigkeit. Arbeitsunfall. Nachbarschaftliche Gefälligkeitshandlung. Absägen eines Astes. Gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz. arbeitnehmerähnliche Tätigkeit. Handlungstendenz. nachbarschaftliches Verhältnis. Abgrenzung zur unternehmerähnlichen Tätigkeit. Ausästen eines Baumes
Leitsatz (amtlich)
Das Ausästen eines Baumes in einigen Metern Höhe überschreitet das Maß dessen, was üblicherweise in einem nachbarschaftlichen Verhältnis gegenseitig geleistet wird. Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 2 Abs. 2 SGB VII entfällt daher bei einer solchen Tätigkeit nicht.
Zur Abgrenzung von unternehmerähnlichen und arbeitnehmerähnlichen Tätigkeiten in § 2 Abs. 2 SGB VII.
Normenkette
SGB VII § 2 Abs. 2, § 8 Abs. 1 S. 1, §§ 6, 1 Abs. 1 Nr. 1; SGB IV § 7 Abs. 1; SGG § 160 Abs. 2, § 193
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 29. November 2004 sowie der Bescheid der Berufungsbeklagten vom 04. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. August 2002 werden aufgehoben.
Die Berufungsbeklagte wird verurteilt, die Folgen des Ereignisses vom 16. Februar 2002 als Folgen eines Arbeitsunfalles im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung festzustellen.
Die Berufungsbeklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Ereignisses am 16. Februar 2002 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die Berufungsklägerin ist die Witwe des am 30. August 1936 geborenen und am 23. Januar 2007 verstorbenen Herrn E. (Verstorbener). Sie bewohnte zur fraglichen Zeit mit ihrem damals noch lebenden Ehemann ein Haus in der F. in G.. In derselben Straße wohnten die Eheleute H.. Herr H. war in derselben Firma beschäftigt gewesen wie der Verstorbene. Zwischen den Eheleuten I. und den Eheleuten H. bestand seit 20 Jahren ein nachbarschaftliches Verhältnis. Herr H. verstarb im Jahr 2001.
Zwischen Frau H. und dem Verstorbenen kam es Anfang 2002 zu der Absprache, der Verstorbene solle an dem im Garten der Frau H. stehenden Walnussbaum einen Ast absägen, der über deren Carport ragte. Es bestand die Vermutung, dieser werde beim nächsten Sturm herunterfallen. Das hierbei anfallende Holz sollte dem Osterfeuer zugeführt werden.
Am 16. Februar 2002 zwischen 15.30 Uhr und 16.00 Uhr beabsichtigte der Verstorbene, diesen Ast abzusägen. Außer einem Seil brachte er kein Werkzeug mit, sondern benutzte das vorhandene Werkzeug aus den Werkzeugbestand des verstorbenen Herrn H., das ihm Frau H. zur Verfügung stellte. Nach Durchführung dieser Arbeiten am 16. Februar 2002 stürzte der Verstorbene beim Absägen eines weiteren Astes dieses Walnussbaumes aus 2 bis 3,5 m Höhe ab. Er erlitt eine Kompressions-/Luxationsfraktur BWK 2 und in der Folge eine Querschnittslähmung der unteren Extremitäten.
Die Berufungsbeklagte nahm Ermittlungen auf. Sie führte am 06. März 2002 Gespräche mit der Berufungsklägerin sowie mit Frau H., und fertige hierüber Vermerke an, die von diesen unterzeichnet wurden (Bl. 45 f. und 47 f. des Verwaltungsvorgangs). Am 07. März 2002 führte sie auch ein Gespräch mit dem Verstorbenen, über das ebenfalls ein Vermerk angefertigt wurde (Bl. 50 des Verwaltungsvorgangs). Auf diese Unterlagen wird Bezug genommen
Daraufhin lehnte sie die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall mit Bescheid vom 04. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. August 2002 ab. Sie war der Auffassung, bei der Tätigkeit des Verstorbenen habe es sich bei der vorzunehmenden Gesamtschau nur um eine nachbarschaftliche Gefälligkeitshandlung gehandelt, die nicht vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst sei.
Am 21. August 2002 ist Klage erhoben worden.
Das Sozialgericht (SG) Braunschweig hat die Klage im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 29. November 2004 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG nach Darstellung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes ausgeführt, im Gegensatz zur Auffassung der Berufungsbeklagten sei die Einstufung des Ereignisses vom 16. Februar 2002 als Arbeitsunfall nicht schon deshalb auszuschließen, weil es sich um eine nachbarschaftliche Gefälligkeit gehandelt habe. Die von dem Verstorbenen vorgenommenen Arbeiten könnten schon wegen des damit verbundenen Risikos nicht als nachbarschaftliche Gefälligkeit qualifiziert werden. Eine Anerkennung als Arbeitsunfall scheide aber aus, weil die Tätigkeit des Verstorbenen nicht als arbeitnehmerähnlich, sondern als unternehmerähnlich zu qualifizieren sei. Der Verstorbene habe sich zum Absägen eines bestimmten Astes und damit zur Herbeiführung eines bestimmten Erfolges und folglich zur Verrichtung eines bestimmten Werkes verpflichtet. Dies entspreche vom Gesamtbild eher der Tätigkeit eines Unternehmers als der Tätigkeit eines Arbeitnehmers.
Gegen das am 06. Dezember 2004 zugestellte Urteil ist am 04. Januar 2005 Berufung eingelegt ...