Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Schwerhörigkeit. digitales Hörgerät. höherwertige Hörversorgung. Ermessen des Rentenversicherungsträgers. Zuständigkeit
Orientierungssatz
1. Wenn alle Voraussetzungen für die Gewährung einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben - hier zur Beschaffung eines digitalen Hörgerätes einer Steuerfachangestellten, die durch den Gebrauch des Gerätes eine wesentliche Besserung der Einschränkungen ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit erfährt, vorliegen, so ist der zuständige Träger der Rentenversicherung dem Grunde nach verpflichtet die entsprechenden Leistungen nach §§ 33 bis 38 SGB 9 zu erbringen.
2. Die Auswahl, mit welchem Gerät von welchem Hersteller die Hörgeräteversorgung vorzunehmen ist, hat der Rentenversicherungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben mit höherwertigen, digitalen Hörgeräten zu versorgen.
Die 1956 geborene Klägerin ist als Steuerfachangestellte berufstätig. Sie trägt bereits seit mehreren Jahren wegen einer Schwerhörigkeit beidseitig Hörgeräte. Das Versorgungsamt Oldenburg hat bei der Klägerin ab 17. Mai 2002 einen Grad der Behinderung von 50 und das Merkzeichen "RF" festgestellt (Bescheid vom 14. Oktober 2002). Im Juli 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Versorgung mit höherwertigen Hörgeräten als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Hierzu machte sie geltend, dass ihre Schwerhörigkeit zugenommen und sie starke Hörprobleme am Arbeitsplatz habe. Sie habe für mehrere Wochen neue Hörgeräte getestet und könne hiermit wesentlich besser hören. Die Kosten für diese Hörgeräte beliefen sich auf 4.109,80 €. Die Beklagte lehnte den Antrag nach Anhörung ihres beratenden Arztes mit Bescheid vom 1. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2004 ab, weil über die Basisversorgung hinaus höherwertige Hörgeräte wegen besonderer beruflicher Anforderungen nicht erforderlich sei. Die Klägerin sei zur Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit nicht auf die Versorgung mit höherwertigen Hörgeräten angewiesen. In Betracht komme die Förderung eines akustischen Telefonverstärkers für die Telefonanlage an ihrem Arbeitsplatz.
Im nachfolgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Oldenburg hat die Klägerin ihren Anspruch weiter verfolgt. Hierzu hat sie u.a. eine Bescheinigung des sie behandelnden HNO-Arztes D vom 20. Juli 2004 zu den Akten gereicht, von dem das Sozialgericht einen weiteren Befundbericht vom 27. August 2004 eingeholt hat. In letzterem hat der Arzt D mitgeteilt, dass bei der Klägerin eine progrediente hochgradige Innenschwerhörigkeit beidseits vorliege und sie extrem leistungsstarke digitale Hörgeräte benötige, um den Hörverlust ansatzweise zu kompensieren. Das Sozialgericht hat sodann ein Gutachten des HNO-Arztes Dr. S vom 20. Dezember 2004 eingeholt. Der Sachverständige hat bei der Klägerin eine sensorineurale cochleäre Hochtonschwerhörigkeit beidseits mit deutlich positivem Recruitmentphänomen, rechts stärker als links ausgeprägt, diagnostiziert. Bei der Klägerin reiche für eine Kommunikation in einer Umgebung, in der kein Störschall existiere und in der man nur mit wenigen Kommunikationspartnern spreche, eine Versorgung mit analogen Hochtonhörgeräten aus. An ihrem Arbeitsplatz sei die Klägerin hingegen vielfältigem Störschall ausgesetzt. Um hier eine deutliche Verbesserung der Sprachverständlichkeit zu erreichen, sei eine Versorgung durch moderne Hörgeräte mit digitaler Technik, Mehrkanaltechnik und Störschallunterdrückung erforderlich. Das Sozialgericht hat sich dieser Bewertung angeschlossen und hat mit Urteil vom 28. Juni 2005 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dass speziell durch die berufsspezifischen Bedingungen des Arbeitsplatzes der Klägerin, der ein gutes Hörvermögen im Störschall des mit mehreren Personen besetzten Büros voraussetze, die Erforderlichkeit einer höherwertigen Hörversorgung begründet sei. Die Auswahl der zu bewilligenden höherwertigen Hörversorgung bleibe im Ermessen der Beklagten.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 9. August 2005 zugestellte Urteil am 7. September 2005 Berufung eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, dass persönlich und telefonisch geführte Kommunikation auch mit einer durch den Bürobetrieb verursachten Geräuschkulisse zu jeder beruflichen Tätigkeit gehöre und die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit keine Besonderheiten bezüglich der Anforderungen an das Hörvermögen aufweise. Aus diesem Grunde komme eine Hörgeräteversorgung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht in Betracht. Zuständig sei vielmehr allein die Krankenversicherung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 28. Juni 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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