Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenübernahme. Autismustherapie in einem Autismustherapiezentrum. Zuständigkeitsklärung. mehrere Leistungsanträge bei unterschiedlichen Rehabilitationsträgern. erster Antrag maßgebend. Prüfung des Leistungszwecks. keine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. keine positive Entwicklung der Erwerbsfähigkeit. kein erforderlicher Bezug zur absolvierten Berufsausbildung im Berufsbildungswerk. Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. keine Hilfe für jungen Volljährigen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der zuständige Rehabilitationsträger nach § 14 SGB IX bestimmt sich bei mehreren Anträgen bei unterschiedlichen Trägern nach dem zeitlich ersten Antrag.

2. Eine Autismustherapie in einem Autismus-Therapie-Zentrum ist während einer Berufsausbildung in einem Berufsausbildungswerk keine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 01.07.2020; Aktenzeichen B 11 AL 23/20 B)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 16. Juli 2019 sowie der Bescheid vom 23. August 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2016 geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Kosten für die Autismustherapie im Zeitraum Januar - Mai 2017 in Höhe von 1275 Euro zu erstatten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet der Klägerin 2/3 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme von Kosten einer Autismus-Therapie in einem Autismus-Zentrum in der Zeit von Oktober 2016 bis Juni 2017 in Höhe von 2.040 Euro streitig.

Bei der am L. 1995 geborenen Klägerin besteht seit früher Kindheit ein Asperger-Syndrom (ICD-10: F84.5). Sie ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Die Eltern sind zu ihren Betreuern bestellt worden. Nach dem Gutachten von Dr. M. N., O., vom 10. August 2010 ist die Störung ausschließlich seelischer Art; eine geistige oder körperliche Behinderung liegt nicht vor. Nach dem durchgeführten Testverfahren (ADOS, Autism diagnostic observation schedule) wurde weder eine Sprachentwicklungsverzögerung noch eine Störung der kognitiven Fähigkeiten festgestellt. Qualitativ beeinträchtigt sind der Bereich der gegenseitigen sozialen Interaktion, die Verwendung sozialer Signale, die angemessene Reaktion auf emotionale und empathische Gesten, das altersentsprechende Verantwortungsempfinden für eigene Handlungen, Interesse gegenüber sozialen Situationen. Als Behandlung wurde empfohlen die Teilnahme an dem TEACCH-Programm in der Klinik (Treatment Education of Autistic and related Communication handicapped Children) oder die Unterbringung in einem Internat oder eine Behandlung im Autismus-Zentrum in P..

Nach erfolgreichem Abschluss der Hauptschule und einem anschließend abgebrochenen Besuch der Berufsfachschule Agrarwirtschaft absolvierte die Klägerin von September 2013 bis Juli 2014 im Q. -Werk R. eine von der Beklagten geförderte Berufsvorbereitungsmaßnahme. Ab dem 1. August 2014 begann sie im Q. -Werk R. eine dreijährige Berufsausbildung zur Fachpraktikerin in der Hauswirtschaft, die sie am 8. Juni 2017 erfolgreich abschloss. Hierfür gewährte die Beklagte Ausbildungsgeld in Höhe von 360 Euro monatlich sowie Reisekosten. Am 1. August 2017 zog die Klägerin in eine eigene Wohnung ein und nahm eine Teilzeitbeschäftigung als Küchenhilfe in einem Integrationsbetrieb des Q. -Werks in R. auf.

Ausweislich einer im Klageverfahren eingeholten Auskunft des Q. -Werk R. vom 20. Januar 2017 handelt es sich bei diesem Berufsbildungswerk um eine auf die Förderung von jungen Menschen mit Autismus-Spektrumstörungen ausgerichtete Einrichtung. Die spezifischen Unterstützungsleistungen erfolgen durch Coaching und Anleitung am Arbeitsplatz bzw. Begleitung betrieblicher Praktika durch einen eingerichteten Fach- und Sozialdienst Autismus, autismusspezifisches soziales Kompetenztraining, Visualisierung und Bereitstellung von Lernmaterialien unter Nutzung des TEACCH-Konzeptes, Zusammenarbeit mit Kinderpsychologen, Fachkliniken und Autismus-Therapie-Zentren, spezifische Fallsupervisionen und Fallberatung durch hierfür zusätzlich qualifizierte Mitarbeiter, Gruppensitzungen und Aufklärung von Arbeitskolleginnen über Umgang mit behinderungspezifischen Handicaps. Bei bestimmten Ausbildungssituationen wird ein Nachteilsausgleich geleistet durch Anwesenheit einer Vertrauensperson in Prüfungssituationen, zusätzliche Erklärungen hinsichtlich der Eindeutigkeit von Aufgabenformulierungen, Zeitverlängerung für die schriftlichen und praktischen Prüfungen, ersetzende mündliche Prüfungsteile durch schriftliche, bei Bedarf kleinere Pausen und Rückzugsmöglichkeiten in den Prüfungsteilen. Eine Autismus-Therapie bietet das Berufsbildungswerk nicht an.

Der Beigeladene gewährte der Klägerin ab November 2010 fortlaufend als Eingliederungshil...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge