Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei gem § 7 Abs 4 SGB 2 bei Strafgefangenen. Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB

 

Orientierungssatz

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 S 2 SGB 2 findet auch auf Strafgefangene Anwendung, die eine Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB verbüßen.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 22. Februar 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten, womit die Bewilligung von Arbeitslosengeld II (ALG II) wegen der Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) J. rückwirkend aufgehoben wurde und die Rückzahlung von 622,76 € verfügt wurde.

Der im Jahr 1958 geborene Kläger bezog von der Beklagten seit Jahren Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Bereits zu Beginn des Jahres 2009 wurden ihm die Leistungen wegen Antritts einer Haftstrafe ab 10. Januar 2009 entzogen. Die Mutter des Klägers hatte der Beklagten den Haftantritt mitgeteilt. Mit Bescheid vom 5. März 2009 wurden ihm zunächst für die Zeit von diesem Tag an bis 31. August 2009 laufende Leistungen i. H. v. monatlich 593,14 € bewilligt. Da der Kläger seiner Verpflichtung zur Vorlage seines Personalausweises nicht nach kam, zog die Beklagte mit Bescheid vom 23. Juni 2009 von diesen Leistungen 35 € monatlich als Sanktion wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten ab. Hierüber erging unter dem 25. Juni 2009 ein Ausführungsbescheid, mit dem die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01. Juli 2009 bis 31. August 2009 auf 566,14 € monatlich verminderte Leistungen zusprach. Einen Folgeantrag stellte der Kläger erst am 20. Oktober 2009.

Am 10. September 2009 ging bei der Beklagten eine Mitteilung der JVA J. ein, wonach der Kläger in der Zeit vom 27. Juli bis 1. November 2009 dort eine Freiheitsstrafe (im geschossenen Vollzug) verbüßte. Mit Bescheid vom 15. September 2009 hob die Beklagte die Leistungsgewährung mit Wirkung zum 27. September 2009 unter Hinweis auf den Haftantritt auf. Mit Schreiben vom selben Tag hörte sie den Kläger wegen der geplanten Rückforderung von 622,76 € überzahlter Leistungen für die Zeit vom 27. Juli bis 31. August 2009 an. Mit Bescheid vom 19. Oktober 2009 hob sie nochmals ausdrücklich einen in den Leistungsakten nicht feststellbaren Bewilligungsbescheid vom 06. Juni 2009 für die Zeit ab 27. Juli 2009 auf und forderte von dem Kläger die Rückzahlung von 622,76 € zu viel gezahlter Leistungen. Zur Begründung gab sie an, der Kläger sei seiner aus § 60 SGB I folgenden Verpflichtung nicht nachgekommen, den Haftantritt mitzuteilen, deshalb greife § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) ein. Am 21. Oktober 2009 erhob der Kläger gegen den Bescheid vom 15. September 2009 Widerspruch. Zur Begründung gab er an, er habe eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt, die nicht wie eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung behandelt werden dürfe. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 2009 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.

Mit seiner Klage vom 24. November 2009 hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Die Begründung entspricht im Wesentlichen seiner Widerspruchsbegründung.

Mit Gerichtsbescheid vom 22. Februar 2010 hat das Sozialgericht (SG) Bremen die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben, da diese nicht berechtigt gewesen sei, die Leistungsbewilligung nach dem SGB II wegen der Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe aufzuheben. Es hat auf einen Beschluss der 26. Kammer des SG vom 26. Juni 2009 (Az.: S 26 AS 1118/09 ER) und einen Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts (VG) Bremen vom 8. April 2009 (Az.: S3 K 2721/07) Bezug genommen.

Mit ihrer vom Senat (per Beschluss vom 11. Mai 2010) zugelassenen Berufung macht die Beklagte im Wesentlichen geltend, es erscheine nicht schlüssig, im Rahmen des § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II zwischen Freiheitsstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen zu unterscheiden. Denn auch die Ersatzfreiheitsstrafe stelle eine echte Freiheitsstrafe dar und sei wie jede Art der Freiheitsentziehung gem. § 104 Abs. 2 Grundgesetz (GG) Ergebnis einer richterlichen Entscheidung. Diese werde stets gleichzeitig mit der Verhängung einer Geldstrafe nach Tagessätzen getroffen, denn damit werde zugleich über die Zulässigkeit der Freiheitsstrafe entschieden, falls die Geldstrafe nicht eingebracht werden könne (§ 43 Strafgesetzbuch - StGB). Die häufig nur kurze Dauer der Ersatzfreiheitsstrafen rechtfertige keine abweichende Entscheidung, da Grundsicherungsleistungen während des Aufenthaltes in stationären Einrichtungen - mit Ausnahme von Krankenhausaufenthalten - unabhängig von dessen Dauer ausgeschlossen seien. Soweit die Ersatzfreiheitsstra...

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