Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Notdienst. keine Entbindung von der Verpflichtung eines Facharztes für Psychotherapeutische Medizin zur Teilnahme. Zumutbarkeit der Wiedererlangung benötigter Kenntnisse durch Fortbildung. keine Befreiung nach langjähriger Abstinenz
Leitsatz (amtlich)
Auch einem Vertragsarzt für Psychotherapeutische Medizin, der 20 Jahre lang keinen Notfalldienst versehen hat, ist es möglich und zumutbar, hierdurch verlorene Kenntnisse und Fertigkeiten innerhalb eines Jahres wiederzuerlangen.
Orientierungssatz
Ein Arzt, der nach langjähriger Abstinenz vom Bereitschaftdienst nicht mehr zur persönlichen Erbringung des Notdienstes geeignet ist, kann hiervon nicht befreit oder ausgeschlossen werden (vgl BSG vom 6.2.2008 - B 6 KA 13/06 R = SozR 4-2500 § 75 Nr 7).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 27. Juli 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Befreiung des Klägers von der Verpflichtung zur Teilnahme am vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst.
Der Kläger ist seit 1993 als Facharzt für Psychotherapeutische Medizin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und mit Praxissitz in F. niedergelassen. Auf seinen Antrag befreite ihn die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) mit Bescheid vom 29. Juni 1994 von der Teilnahme am Notfalldienst. Aufgrund der ausschließlich psychotherapeutischen Tätigkeit des Klägers sei ein Ausnahmetatbestand gegeben, der eine Befreiung rechtfertige. Nach § 6 Abs. 4 der Notfalldienstordnung (NDO) könnten in größeren Notfalldienstbereichen hochspezialisierte Fachärzte von der Teilnahme befreit werden, wenn ihr hausärztlicher Anteil unter 20% liege und der Notfalldienstring mindestens 20 Ärzte umfasse. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass die Befreiung von der Teilnahme widerrufen werden könne, wenn sich die Notfalldienstversorgung im Bereich W... verschlechtern sollte.
Mit Schreiben vom 28. August 2007 hörte die Beklagte den Kläger dahingehend an, dass in der am 1. April 2007 in Kraft getretenen einheitlichen NDO der Vorzugstatbestand für eine Befreiung von Fachärzten nicht mehr enthalten und deshalb beabsichtigt sei, die erteilte Befreiung von der Verpflichtung zur Teilnahme am Notdienst wegen einer wesentlichen Änderung der rechtlichen Verhältnisse aufzuheben.
Unter dem 18. September 2007 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag, ihn von der Verpflichtung zur Teilnahme am Notfalldienst zu befreien bzw. die bestehende Befreiung aufrechtzuerhalten.
Mit Bescheid vom 17. Dezember 2007 hob die Beklagte die Befreiung von der Verpflichtung zur Teilnahme am vertragsärztlichen Notfalldienst auf. Die Aufhebung erfolgte mit der Maßgabe, dass der Kläger erst ab dem Quartal I/2009 bei der Erteilung der Notfalldienste im Notfalldienstbereich berücksichtigt werde. Während dieser Zeit habe er auch die Möglichkeit, sich für den Notfalldienst fortzubilden.
Gegen diesen Bescheid richtete sich der Kläger mit seinem Widerspruch vom 15. Januar 2008. Es sei übersehen worden, dass auch die neue NDO in § 7 einen Befreiungstatbestand enthalte. Die dort genannten Befreiungstatbestände seien nicht als abschließend anzusehen. Er verfüge nach 15 Jahren ausschließlich psychotherapeutischer Tätigkeit nicht über die zur Ausführung des Notfalldienstes notwendige Fachkenntnis und Sachkunde. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2008 zurück. Es sei kein schwerwiegender Grund gegeben, der eine Befreiung rechtfertige. Mangelnde Kenntnisse in der Notfallversorgung würden keinen Grund für die Befreiung darstellen. Es existiere auch keine Vorschrift, die besondere Anforderungen an die Ausstattung einer Praxis für die Durchführung des Notfalldienstes stellen würden. Als Minimalausstattung sei ein ordnungsgemäß ausgestatteter Notfallkoffer ausreichend.
Der Kläger hat am 17. Juni 2008 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover mit dem Ziel erhoben, von der Teilnahme vom Notfalldienst befreit bzw. unter finanzieller Beteiligung ausgeschlossen zu werden. Das für ein qualifiziertes notfallmedizinisches Handeln erforderliche Basiswissen und -können, welches er angesichts seiner seit Jahren ausschließlich psychotherapeutischen Tätigkeit verloren habe, könne er nicht in Fortbildungsveranstaltungen wiedererlangen. Er habe seit mehr als 15 Jahren keine Spritzen gesetzt, kein Blut abgenommen, keine Verbände angelegt, keine körperlichen Befunde erhoben bzw. körperliche Erkrankungen diagnostiziert, bis auf Psychopharmaka keine Medikamente verordnet, keinen Tubus gesetzt oder keine Schlaganfall- oder Herzinfarktpatienten versorgt. Der Kläger hat auf eine Stellungnahme von Prof. Dr. G. (Institut für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum H.) vom 4. ...