Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsleistung. Arbeitsgelegenheit. Arbeitsleistung ohne Rechtsgrund. öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. Wertersatz. kostenloser Fahrgastbegleitservice im öffentlicher Personennahverkehr. zusätzliche Arbeit. kein wirtschaftliches Interesse. keine Vermögensvermehrung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein kostenloser Fahrgastbegleitservice für insbesondere mobilitätseingeschränkte Fahrgäste im öffentlichen Personennahverkehr (hier: ÜSTRA Hannoversche Verkehrsbetriebe AG) ist eine zusätzliche Arbeit im Sinne des § 16d Abs 2 S 1 SGB II, soweit er nicht zum eigentlichen Leistungsspektrum (Personentransport) gehört.
2. Der Zusätzlichkeit eines Fahrgastbegleitservice steht dabei nicht entgegen, dass gleichgelagerte reguläre Beschäftigungsverhältnisse aus Wirtschaftlichkeitsgründen nicht geschaffen wurden, dass der Verkehrsbetrieb die Maßnahme bewirbt und dass zeitgleich eine Vielzahl von Fahrgastbegleitern an der Maßnahme teilgenommen hat.
3. Stellt die Gruppe der begleiteten Personen im Verhältnis zu den sonstigen Transportzahlen (hier: mehrere hundert Fahrgastbegleitungen monatlich zu deutlich über hundert Millionen Fahrgästen im Jahr) einen verschwindend geringen Bruchteil dar, ist weder ein ernsthaftes wirtschaftliches Interesse des Verkehrsbetriebes am Ticketverkauf an die begleiteten Fahrgäste noch ernsthaftes Verdrängungspotential anderer Anbieter für Transport- und Begleitservice für mobilitätseingeschränkte Personen anzunehmen.
4. Soweit der Fahrgastbegleitservice wegen seiner Kostenfreiheit weder den Umsatz des Verkehrsbetriebes steigern noch das Kerngeschehen - höhere Einnahmen aus dem Verkauf von Fahrscheinen für den Transport - voranbringen konnte, ist auch keine Vermögensmehrung aus anderem Grund eingetreten.
5. Fehlt es an der Vermögensmehrung, kommt es nicht mehr darauf an, ob die Leistung (= Arbeitsgelegenheit) mit Rechtsgrund erbracht wurde.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 2. November 2015 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger macht als Nachlasspfleger des im November 2017 verstorbenen Herrn I. J. für die unbekannten Erben einen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte auf Wertersatz für die Teilnahme des Herrn J. an einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung für den Zeitraum vom 2. Mai 2006 bis zum 31. März 2014 geltend.
Der 1954 geborene Herr J. stand seit 2005 bis zu seinem Tod im Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Die Beklagte gewährte Herrn J. regelmäßig Leistungen in Höhe des Regelbedarfs, einer Pauschale für die Warmwassererzeugung mit Strom und der Kosten für Unterkunft und Heizung (KdUH) für die ab Juli 2005 bewohnte Wohnung im K. 23, L. (vgl. exemplarisch für den Streitzeitraum zuletzt Änderungsbescheid vom 9. Dezember 2013 für den Zeitraum Januar bis April 2014: Regelbedarf i.H.v. 391,00 Euro, Mehrbedarf Warmwasser i.H.v. 8,99 Euro, KdUH i.H.v. 439,15 Euro, Bl. 585 ff. der Verwaltungsakte - VA).
Am 2. Mai 2006 schloss Herr J. mit der üstra Hannoversche Verkehrsbetriebe AG, (im Folgenden nur: üstra) als Maßnahmeträger eine Vereinbarung “zum berufspraktischen Einsatz in Arbeitsgelegenheiten auf der Grundlage des § 16 Abs 3 Satz 2 SGB II„ für den Zeitraum vom 2. Mai 2006 bis zum 30. April 2009 über eine Tätigkeit als Fahrgastbegleiter. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug ausweislich der Vereinbarung durchschnittlich 30 Stunden im Drei-Schicht-Dienst, für die Herr J. eine Mehraufwandsentschädigung i.H.v. 1,00 Euro (bzw. 2,00 Euro nachts) erhalten sollte (vgl. Bl. 164 der Gerichtsakte - GA). Die Hauptaufgaben der Fahrgastbegleiter beschrieb die üstra im Rahmen des Förderantrages bei der Beklagten u.a. mit “Service unseren Kunden bieten„, “Kunden unterstützen, z.B. beim Fahrscheinkauf an unseren Automaten„, “beim Einsteigen älterer Fahrgäste oder bei mobilitätseingeschränkten Fahrgästen (Rollstuhlfahrerinnen, Frauen oder Männer mit Kinderwagen und behinderten Menschen) Hilfe leisten, von zu Hause abholen, zum Arzt begleiten und auch zurück bringen„ (vgl. Bl. 89 der Akte “AGH-Maßnahme 237/1431/08„). Die üstra reichte mit dem entsprechenden Förderantrag bei der Beklagten auch eine Erklärung zur Zusätzlichkeit der Arbeitsgelegenheiten ein (vgl. für das Jahr 2008: Bl. 4 der Akte “AGH-Maßnahme 237/1431/08„). Herr J. übte die Tätigkeit als Fahrgastbegleiter mit nach eigener Angabe Unterbrechungen in den Monaten Juni, Juli und August 2011 fortlaufend bis zum 31. März 2014 aus. Mit dem Beklagten schloss er nach eigenem Vortrag durchgängig entsprechende Eingliederungsvereinbarungen (vgl. exemplarisch etwa Eingliederungsvereinbarung - EGV - vom 2. Januar 2012 für das Jahr 2012, Vorheftung Band II VA).
Mit Schreiben vom 23. Dezember 2011 machte der anwaltlich vertretene Herr J. gegen den Beklagten ab dem 1. Januar 2007 einen Anspruch auf Zahlung d...