Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Rückforderung von Vergütung für vom Apotheker patientenindividuell hergestellte Zytostatika. geringerer tatsächlicher Apothekeneinkaufspreis als gemäß Lauertaxe abgerechnet. Anwendbarkeit des Grundsatzes von Treu und Glauben. kein Verstoß hiergegen bei Abrechnung im Rahmen des geltenden Preisbildungssystems. streng formale Rechtsmaterie. keine informelle Mitteilungspflicht. kein "Verbot mit Erlaubnisvorbehalt" im Arzneimittelrecht
Orientierungssatz
1. Zum möglichen Verstoß eines Apothekers gegen den Grundsatz von Treu und Glauben durch die Unterlassung eines Hinweises an die Krankenkasse bezüglich geringerer tatsächlicher Apothekeneinkaufspreise (von importierten Wirkstoffen für die patientenindividuelle Herstellung von Zytostatika) im Vergleich zur (der nachfolgenden Abrechnung gegenüber der Krankenkasse gleichwohl zugrundgelegten) Lauertaxe.
2. Der Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne von § 242 BGB findet gemäß § 69 Abs 1 S 3 SGB 5 bei der Leistungsabrechnung zwischen Apotheker und Krankenkasse grundsätzlich Anwendung.
3. Ein solcher Verstoß besteht jedoch nicht, wenn der Apotheker im Rahmen des geltenden Preisbildungssystems geleistet und abgerechnet hat.
4. Bei dem Arzneimittel-, namentlich dem Preisberechnungs- und Retaxationsrecht handelt es sich um eine normativ hoch formal geregelte Rechtsmaterie, deren streng formale Voraussetzungen einzuhalten sind, zB in Bezug auf die Berechnung nach der Lauertaxe.
5. Für etwaige "informelle Mitteilungswege", zB bezüglich eines geringeren Einkaufspreises im Vergleich zur Lauertaxe oder eine diesbezüglich vorliegende Regelungslücke, besteht im beschriebenen Preisbildungs- und Abrechnungssystem grundsätzlich kein Spielraum.
6. Es gibt im Arzneimittelrecht keinen Grundsatz eines "Verbots mit Erlaubnisvorbehalt", der grundsätzlich jedwede der Versorgung der gesetzlich Versicherten dienende Handlung eines Apothekers verböte, sofern sie nicht ausdrücklich im Gesetz zugelassen ist. Es gilt vielmehr umgekehrt der Grundsatz der unternehmerischen (Handlungs- und Entscheidungs-)Freiheit, der (nur) dort seine Grenzen findet, wo gesetzliche Regelungen Restriktionen normieren.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 2. März 2018 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Der Streitwert wird festgesetzt auf 7.726,61 Euro. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist ein Abrechnungsbetrag in Höhe von 7.726,61 Euro, den die beklagte Krankenkasse (KK) von dem klagenden Inhaber der K. - Apotheke in L. zurückgefordert hat.
Der Kläger betreibt als selbständiger Apotheker eine Apotheke, die - wie etwa 250 weitere Apotheken in Deutschland - über eine Erlaubnis zur Herstellung von Medikamenten zur Behandlung von Krebserkrankungen (Zytostatika) verfügt. Die Beziehungen zwischen dem Kläger und der beklagten KK in dem hier maßgeblichen Zeitraum regelte der zwischen dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. und dem Deutschen Apothekerverband e.V. (DAV) geschlossene Arzneilieferungsvertrag (ALV) in der Fassung vom 21. August 2008.
Über viele Jahre bestand eine Geschäftsbeziehung des Klägers zu einer onkologischen Gemeinschaftspraxis, für deren Patienten er in seiner Apotheke auf entsprechende ärztliche Verordnung Zytostatika herstellte. Bei der Zubereitung wurde jeweils kein konkretes Arzneimittel, sondern die bestimmte Menge eines Wirkstoffs sowie einer Kochsalz- und Glukoselösung als Trägerlösung verordnet. In der Apotheke wurden ein Kassenrezept für die Herstellung des Zytostatikums sowie ein Chemotherapie-Applikationsbogen mit den zur Überprüfung der Verordnung erforderlichen Patientendaten vorgelegt. Die auf diese Weise hergestellten Infusionslösungen wurden an die onkologische Praxis weitergeleitet. Einen Teil der verwendeten Arzneimittel (Wirkstoffe: Gemcitiabine, Irinotecan, Docetaxel, Vinorelbine, Navelbine, Oxaliplatin, 5-FU, Paclitaxel, Folinsäure und Mytoxantron ) bezog der Kläger nicht wie üblich über den Pharma-Großhandel oder unmittelbar von den Herstellern, sondern in den Jahren 2003 bis 2007 über die dänische Firma M., DK-N. (vgl. auch Liste der Einzelrechnungen, Anklageschrift vom 5. April 2010). Die betreffenden Arzneimittel waren im Zeitraum von Januar 2003 bis Juli 2007 in Deutschland nicht zugelassen. Die Voraussetzungen für Einzelimporte im Sinne des § 73 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG) lagen bei keiner der Lieferungen vor; auch verfügte keines der Unternehmen über eine Registrierung zum Parallelimport der Arzneimittel nach Deutschland (vgl. Feststellung im Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 10. Dezember 2014, 5 StR 405/13). Die bei den ausländischen Unternehmen bezogenen Arzneimittel unterschieden sich weder in ihrer stofflichen Zusammensetzung noch in ihrer pharmazeutischen Wirksamkeit von den zugelassenen verkehrsfähigen Arzneimitteln. Die Verpackung, Packungsbeilage und Etikettierung wiesen jedoch nicht die für d...