Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Autismustherapie in einem Autismustherapiezentrum. Abgrenzung zu Leistungen der medizinischen Rehabilitation. Schwerpunkt des verfolgten Leistungszwecks. Wiedereingliederung in das Erwerbsleben. Rehabilitationsträger. Bundesagentur für Arbeit. Leistungsträger. Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Antragsablehnung. Unzuständigkeit. Ermessensfehler. Verpflichtung zur Neubescheidung

 

Orientierungssatz

1. Werden Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen begehrt, ist die Abgrenzung zwischen medizinischer, beruflicher und sozialer Rehabilitation zunächst anhand des jeweiligen Leistungskatalogs vorzunehmen. Jedenfalls insoweit, als dieser sich überschneidet und daher keine Differenzierung zulässt, kommt es vorrangig auf den Schwerpunkt des verfolgten Leistungszwecks an (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R = SozR 4-3500 § 54 Nr 6).

2. Zur Frage einer Übernahme von Kosten für Therapiestunden eines am Asperger-Syndrom Erkrankten in einem Autismustherapiezentrum als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Verpflichtung des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende zur Neubescheidung eines diesbezüglich gestellten und von diesem bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen rechtswidrig abgelehnten Antrags (Antragsablehnung ohne vorherige Befassung der Bundesagentur für Arbeit als Rehabilitationsträger sowie Ermessensfehler).

 

Tenor

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 15. Oktober 2009 sowie der Bescheid des Beklagten vom 11. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2008 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers vom 22. März 2007, ihm Leistungen der Wiedereingliederung in das Erwerbsleben zu gewähren, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger 2/3 seiner außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch Übernahme der Kosten von wöchentlich 2 Therapieeinheiten im Autismus-Therapie-Zentrum J. zu gewähren hat.

Der 1971 geborene Kläger ist ledig und lebt allein im Haus der Eltern in einer von jenen angemieteten Wohnung. Seit 2001 steht er bei wechselnden Fachärzten wegen Depressionen in psychiatrischer Behandlung.

Nach Ableistung des Zivildienstes in einem Krankenhaus absolvierte der Kläger von 1991 bis 1994 zunächst eine Berufsausbildung zum Büroinformationselektroniker, an die sich von 1996 bis 1998 eine weitere Berufsausbildung als "Wirtschaftsassistent Informatik" anschloss. Sodann war der Kläger von 1998 bis 2002 als Netzwerktechniker in der Kundenbetreuung beschäftigt. Seither war er arbeitslos und stand zuletzt im Bezug laufender unterhaltssichernder Leistungen bei dem Beklagten.

Nachdem der Vater des Klägers bei diesem Anzeichen einer autistischen Störung bemerkt hatte, stellte sich der Kläger im Mai 2006 im Autismus-Therapie-Zentrum J. vor, wo durch die Dipl.-Psychologin K. (Stellungnahme vom 31. Mai 2006) nach Erhebung der Anamnese und situativer Beobachtung im Patientengespräch die Verdachtsdiagnose einer bisher unerkannten autistischen Störung in Gestalt des sogenannten Asperger-Syndroms gestellt und empfohlen wurde, eine ausführliche Diagnostik in einem auf autistische Störungen Erwachsener spezialisierten Institut vornehmen zu lassen. In der Zeit vom 25. Oktober 2006 bis zum 14. Februar 2007 stellte sich der Kläger an insgesamt 4 Terminen zur diagnostischen Einschätzung in der Autismus-Sprechstunde der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität zu L. vor, wo unter dem 2. März 2007 aufgrund testpsychologischer Untersuchungen und ergänzender Beobachtung die Diagnose einer Störung aus dem Autismusspektrum bei zusätzlicher ängstlich-vermeidender Persönlichkeitsstruktur und einer depressiven Symptomatik gestellt wurde. Von November 2007 bis - mindestens - Juni 2008 befand sich der Kläger in ambulanter Behandlung von Dr. M. in der Instituts-Ambulanz der N. -Klinik O. Dieser führte in einer ärztlichen Bescheinigung vom 9. Juni 2008 aus, dass die in der Universitätsklinik L. festgestellte Erkrankung eines Asperger-Autismus zu einer anhaltenden, schweren Beeinträchtigung des Klägers in Bezug auf seine berufliche Leistungsfähigkeit sowie auch in Bezug auf seine privaten Beziehungen führe. Im Verlauf der regelmäßigen Ambulanzbehandlung seien gehäuft Hinweise auf das cormorbide Vorliegen einer affektiven Störung im Sinne depressiver und hypomaner Episoden aufgetreten. Die suffiziente Behandlung der comorbiden, schweren psychiatrischen Erkrankung erfordere einen multiprofessionellen Ansatz. So sei neben der ärztlich-psychiatrischen Behandlung auch eine autismusspezifische Begleitung des Klägers unverzichtbar. Nur so werde es in enger Kooperation mittel...

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