Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. keine Kostenübernahme für Behandlung in Naturheilzentrum. Arztvorbehalt. Ausschluss von Heilpraktikern. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Zwingende Voraussetzung ärztlicher und ihr gleichgestellter psychotherapeutischer Krankenbehandlung als ein zentraler Bestandteil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist die Approbation der ärztlichen und der psychotherapeutischen Behandler. Der in § 15 Abs 1 und § 27 Abs 1 SGB 5 geregelte Arztvorbehalt beinhaltet einen generellen Ausschluss nicht-ärztlicher Heilbehandler von der selbstständigen und eigenverantwortlichen Behandlung der Versicherten der GKV.

2. Der Ausschluss von Heilpraktikern von der selbstständigen Leistungserbringung in der GKV ist mit Art 12 Abs 1 GG zu vereinbaren und verstößt auch nicht gegen Art 3 Abs 1 GG (vgl BVerfG vom 10.5.1988 - 1 BvR 111/77 = BVerfGE 78, 155 = SozR 2200 § 368 Nr 11).

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 7. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Behandlung im Naturheilzentrum „I.“ hat.

Der 19… geborene Kläger ist bei der beklagten Krankenkasse (KK) gesetzlich krankenversichert und leidet seit Jahren unter zahlreichen Erkrankungen; zu nennen sind u.a. ein Zustand nach Nierentransplantation, Zustand nach mittelschwerer Abstoßreaktion (Juli 2005), eine chronische Glomerulonephritis, ein infektbedingtes akutes Nierenversagen (2018), pAVK, ein Verdacht auf ein Alport-Syndrom, Hypertonus, Tinnitus, allergisches Asthma, chronisches Erschöpfungssyndrom (Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatique Syndrome ≪ME/CFS≫), Histaminüberempfindlichkeit. Seit dem 16. Januar 2018 besteht ein Pflegegrad I (vgl. Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung - MDK - vom 17. November 2018).

Am 31. Juli 2018 beantragte er bei der beklagten KK die Kostenübernahme einer Behandlung seiner ME/CFS-Erkrankung im Naturheilzentrum „I.“ in J.. Er gab dazu an, dass seine ME/CFS-Erkrankung nachgewiesen sei und er an einem besonders schweren Fall leide. „Kassenärzte“, die eine Behandlung durchführen könnten, gäbe es nicht. Alle von ihm vorgeschlagenen Privatärzte habe die Beklagte abgelehnt. Eigene Arztvorschläge habe sie nicht gemacht. Auch wenn es sich bei dem Zentrum „I.“ um eine Naturheilpraxis handeln würde, habe diese Bezeichnung nur eine formale Bedeutung; Diagnostik und Therapie würden sich dennoch nach wissenschaftlichen Kriterien richten.

Mit Bescheid vom 7. August 2018 lehnte die Beklagte den Antrag ab und führte zur Begründung aus, dass Heilpraktiker nicht berechtigt seien, ihre Leistungen über die gesetzliche Krankenversicherung (gKV) abzurechnen. Daher dürfe die Beklagte die Behandlungskosten nicht übernehmen.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2017 zurück. Der Arztvorbehalt gebiete es, dass eine ärztliche Behandlung nur durch Ärzte zu erfolgen habe. Eine Behandlung durch andere in der Heilkunde tätige Personen dürfte nicht zulasten der GKV erbracht werden. Für die Behandlung im Naturheilzentrum „I.“ könnten Kosten nicht übernommen werden.

Am 4. Februar 2019 hat der Kläger gegen diese Entscheidung Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und gleichzeitig den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er sei lebensbedrohlich schwer erkrankt und eine kassenärztlich medizinische Behandlung sei in Deutschland nicht möglich. Laut Internetpräsentation und mündlicher Auskunft sei die Inhaberin des Naturheilzentrums „I.“ eine Spezialistin für die ME/CFS-Erkrankung. Zur Feststellung eines Behandlungserfolges sei eine Erstuntersuchung notwendig. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich aus den lebensbedrohlichen Umständen.

Das SG hat mit Beschluss vom 13. März 2019 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund seien nicht gegeben. Die Ablehnung der beklagten KK, die Kosten für die Behandlung bei der Heilpraktikerin nicht zu übernehmen, sei nicht zu beanstanden. Gemäß § 15 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) werde eine ärztliche oder zahnärztliche Behandlung von Ärzten oder Zahnärzten erbracht. Seien Hilfeleistungen anderer Personen erforderlich, dürften diese nur erbracht werden, wenn sie vom Arzt (Zahnarzt) angeordnet oder von ihm verantwortet würden. Damit regele § 15 Abs. 1 SGB V einen Arztvorbehalt und beinhalte einen generellen Ausschluss nicht-ärztlicher Heilbehandler von der selbstständigen oder eigenverantwortlichen Behandlung der Versicherten der gesetzlichen KKen. Diese Auffassung sei obergerichtlich bestätigt: sowohl das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19. Dezember 1996, L 4 KR 166/96, als auch das Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 2. September...

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