Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Unzulässigkeit der Berufung. Unwirksamkeit der Berufungseinlegung wegen Nichtvorlage einer aktuellen Vollmachtsurkunde durch den Rechtsanwalt. berechtigte ernsthafte Zweifel an der Bevollmächtigung

 

Orientierungssatz

1. Die Berufung ist als unzulässig zu verwerfen, wenn die Berufungseinlegung durch einen Rechtsanwalt mangels Vorlage einer angeforderten aktuellen Vollmachtsurkunde unwirksam ist.

2. Soweit ernstliche Zweifel an der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalt bestehen, ist das Gericht im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens auch ohne Rüge der Gegenseite berechtigt unter Fristsetzung eine aktuelle Vollmacht des Rechtsanwalts anzufordern (vgl BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 180/15 B = SozR 4-1500 § 73 Nr 10).

3. Zweifel am Fortbestand der einem Rechtsanwalt früher erteilten Generalvollmacht bestehen, wenn feststeht, dass der Rechtsanwalt in einer größeren Zahl von Fällen unter Rückgriff auf solche Generalvollmachten Rechtsbehelfe oder -mittel eingelegt hat, obwohl das Mandatsverhältnis von den Mandanten bereits beendet worden war.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 12.05.2021; Aktenzeichen B 4 AS 76/21 B)

 

Tenor

Die Berufung wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin für den Bewilligungszeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2017 höhere Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zustehen.

Die 1990 geborene Klägerin ist J. Staatsbürgerin. Sie reiste im April 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und bewohnte nach ihren Angaben ab dem 1. September 2016 eine Wohnung in der K. in L. Die Grundmiete betrug nach ihren Angaben 320 € monatlich und die Vorauszahlung auf die Betriebskosten 70 € monatlich. Unterlagen zu den Heizkosten legte sie nicht vor. Unter § 17 des Mietvertrages vom 20. August 2016 ist folgende individuelle Vereinbarung geregelt:

„Eine Haftpflichtversicherung ist nachzuweisen.

Frau M. N. Bezieht eine Wohnung die noch nicht fertig renoviert ist. Dieser Umstand ist ihr bekannt auch das zur zeit das Wasser wegen Leitungsüberprüfung zur zeit nicht funktioniert ist ihr bekannt auch das das Bade zimmer erst repariert werden muss. Sie befindet sich in besonderen Lebensumständen die eine sofortige Nutzung erforderlich macht.

Es wird für beide Seiten eine Win win Situation vereinbart Frau N. Renoviert die Wohnung speziel das Bade zimmer auf eigene Kosten. Genau so die Notwendigen Reparaturen in der O. dafür bekommt sie die Wohnung ca 3 Monate Mietfrei. Die Renovierungskosten werden gegen die Miete gegengerechnet. Material belege sind einzureichen für die Aufrechnung. Die Nebenkosten sind von Ihr zu zahlen wie Wasser Müll und Strom. die Zentral Heizung wird erst ca. Oktober wieder betriebsfertig sein. Frau N. hat die Wohnung besichtigt und möchte Die Wohnung im jetzigen zustand haben. Die Kaution fällt erst an wenn die Wohnung fertigen zustand ist sie kann in Raten ab gezahlt werden“

Die Klägerin war vom 26. Juli 2016 bis 31. Mai 2017 bei der P. GmbH als Zeitarbeitnehmerin mit schwankendem Einkommen beschäftigt. Daneben erzielte sie im streitgegenständlichen Zeitraum ein Einkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung im Restaurant Q., L. Die Klägerin stellte bereits im Oktober 2016 erstmals beim Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II, den dieser mit Bescheid vom 24. November 2016 ablehnte. Im weiteren Verlauf beauftragte die Klägerin Rechtsanwalt R. mit ihrer Vertretung. Sie unterschrieb dazu am 23. Januar 2017 eine Vollmacht, nach deren Inhalt sie Rechtsanwalt R. bevollmächtigte, sie in „allen Verfahren“ gegenüber dem Beklagten zu vertreten.

Mit Bescheid vom 20. April 2017 gewährte der Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB II i. H. v. 240,51 € für Januar 2017, 144,06 € für Februar 2017,176,19 € für März 2017 und jeweils 133 € für die Monate April bis Juni 2017. Als Bedarf für die Kosten der Unterkunft und Heizung berücksichtigte er lediglich Nebenkosten i. H. v. 70 € monatlich. Die Bewilligung erfolgte unter Hinweis auf § 41a SGB II aufgrund des monatlich unterschiedlich hohen Einkommens ausdrücklich vorläufig. Den dagegen eingelegten Widerspruch vom 27. April 2017 begründete die Klägerin mit der fehlenden Berücksichtigung der Netto-Kaltmiete i. H. v. 320 €. Darüber hinaus leitete die Klägerin am 27. April 2017 beim Sozialgericht (SG) Bremen (Aktenzeichen S 6 AS 881/17 ER) mit derselben Begründung ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein. Das SG lehnte den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 23. Mai 2017 mit der Begründung ab, dass einem Anspruch der Klägerin auf weitere Kosten der Unterkunft und Heizung die fehlende Glaubhaftmachung einer rechtswirksamen Mietverpflichtung entgegenstehe. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Mietzins mittlerweile gezahlt werde. Auch seien keine Belege zu etwaigen Renovierungskosten vorgelegt worden. Die dagegen g...

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