Entscheidungsstichwort (Thema)

Grenzen der Ermittlungspflicht des Gerichts im Verfahren der gesetzlichen Unfallversicherung - Verwertbarkeit eines medizinischen Sachverständigengutachtens

 

Orientierungssatz

Weichen die in einem Verfahren der gesetzlichen Unfallversicherung vom Gericht eingeholten Gutachten in ihrem Ergebnis voneinander ab, so stellt dies regelmäßig keinen Grund dar, ein weiteres sog. Obergutachten einzuholen. Ist der Sachverhalt ausermittelt, so obliegt allein dem Gericht die Abwägung zwischen deren Ergebnissen im Rahmen der Beweisführung (BSG Beschluss vom 1. 4. 2014, B 9 V 54/13 B). Etwas anderes gilt nur bei Vorliegen grober Mängel oder unlösbarer Widersprüche.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 28.06.2022; Aktenzeichen B 2 U 19/22 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 30. November 2017 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt unter Geltendmachung der Feststellung fortbestehender Gesundheitsstörungen, und zwar maßgeblich in Form einer rezidivierenden Depression, Schlafstörungen und neurasthenischer (Erschöpfungs-)Beschwerden als weitere Folgen eines am 29. Oktober 2011 erlittenen Arbeitsunfalls die Gewährung von Leistungen über den 24. Dezember 2011 hinaus, insbesondere die Gewährung einer Verletztenrente.

Die J. geborene Klägerin erlitt am 29. Oktober 2011 auf dem Weg zu ihrer versicherten Tätigkeit als Küchenhilfe im K. Klinikum L. einen Autounfall. Ausweislich des H-Arzt-Berichts des Dr. M. vom 31. Oktober 2011 war sie am Unfalltag gegen 5.45 Uhr als angeschnallte Fahrerin mit ihrem PKW unterwegs als ein anderer PKW unter Missachtung der Vorfahrt mit hoher Geschwindigkeit von links auffuhr. Sie sei nach dem Unfall ihrer Arbeit nachgegangen. Einige Stunden nach dem Unfall hätten Schmerzen im Nacken und der Lendenwirbelsäule eingesetzt. Sie sei auch sehr nervös gewesen und habe nicht schlafen können, so dass sie sich am Folgetag in der Notfallambulanz und schließlich am 31. Oktober 2011 bei Dr. M. vorstellte. Bei seiner Untersuchung stellte dieser einen Druckschmerz im Schulter-Nackengürtel sowie der unteren Lendenwirbelsäule (LWS) fest. Die Beweglichkeit der LWS, der Halswirbelsäule (HWS) wie auch der Extremitäten waren frei. Die Röntgenuntersuchung der HWS ergab keine Unfallfolgen. Es wurde unter der Diagnose einer Zerrung der HWS und LWS ein Analgetikum verordnet und Arbeitsunfähigkeit bis zum 4. November 2011 festgestellt. Die Klägerin habe allerdings gemeint, so der Arztbericht, dass ihr wegen des psychischen Schocks eine Arbeitsaufnahme noch nicht möglich sein würde.

Am 7. und 9. November 2011 stellte die Klägerin sich bei dem Durchgangsarzt Dr. N. vor, der seinerseits lediglich Zerrungen des Nackens und der HWS-Muskulatur sowie eine Daumenprellung feststellte und eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 14. November 2011 attestierte. Allerdings überwies er die Klägerin wegen der von ihr angegebenen Unruhe und Schlafstörungen seit dem Unfall wegen des Verdachts auf eine posttraumatische Belastungsreaktion zu einem Psychotherapeuten. Am 17. November 2011 wurde die Klägerin daraufhin von dem Dipl.-Psych. I. untersucht. Dieser kam zu der Einschätzung, dass die Klägerin psychologischer Hilfe zur Erlebnisverarbeitung und Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit bedürfe. Sie leide unter Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, Ängsten, Grübeln und Zukunftsbefürchtungen sowie Schmerzen im Kreuz- und Hüftbereich. Die Stimmungslage sei vorherrschend ängstlich-agitiert-depressiv. Es folgten zunächst 5 probatorische Sitzungen sowie weitere 5 psychotherapeutische Einzelbehandlungen bei Herrn I.. Unter dem 20. Januar 2012 berichtete der Therapeut im Wesentlichen, dass die Klägerin die Erinnerungsbilder und Grübeleien bezüglich des Unfalls und der nachfolgenden Ereignisse zwischenzeitlich besser einordnen und distanzieren könne. Ihre massiven Auslieferungs- und irrationalen Schuldgefühle hätten erkennbar nachgelassen. Sie habe das Fahren mit dem Auto geübt und ihre Arbeit wieder angetreten. Sie habe innerbetrieblich ihre Tätigkeit gewechselt und dies als Zugewinn an Kompetenz bewertet. Dies wirke sich positiv aus, wobei es keine relevanten Probleme am vorherigen Arbeitsplatz gegeben habe. Relevante psychische Vor-oder Begleiterkrankungen lägen nicht vor. Auch hätten sich die Rücken- und Hüftschmerzen durch medizinische Behandlung gebessert. Zur weiteren Behandlung des Unfallleidens und besseren Stabilisierung der Klägerin sei jedoch noch eine Weiterbehandlung mit etwa 10 Sitzungen erforderlich.

Am 30. Mai 2012 erlitt die Klägerin erneut auf dem Weg zur Arbeit einen Unfall, als an einer Kreuzung ein anderes Fahrzeug frontal mit ihrem stehenden PKW kollidierte. Ausweislich des Durchgangsarztberichts vom Unfalltag wurde sie unter den Diagnosen einer Schädelprellung mit vegetativer Begleitsymptomatik und einer HWS- Prellung zur stationären Überwachung in die O. P. hospital L. überwiesen ...

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