Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen einer Anerkennung geltend gemachter Gesundheitsstörungen als Folgen eines Arbeitsunfalls - posttraumatische Belastungsstörung

 

Orientierungssatz

1. Nach § 214 Abs. 3 S. 1 SGB 7 gelten die Vorschriften des SGB 7 über Renten auch für Versicherungsfälle, die vor dem 1. 1. 1997 eingetreten sind, wenn die Rentenleistungen nach dem 1. 1. 1997 erstmals festzusetzen sind.

2. Durch einen Arbeitsunfall i. S. von § 8 Abs. 1 SGB 7 wesentlich verursacht sind Gesundheitsstörungen, wenn der Unfall gegenüber sonstigen schädigungsfremden Faktoren nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung ist.

3. Hat sich der Versicherte erstmals 25 Jahre nach dem Arbeitsunfall in psychiatrische Behandlung begeben und fehlen für die Zeit davor Brückensymptome, so ist eine geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nicht als Unfallfolge anzuerkennen.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 2. März 2017 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung weiterer Unfallfolgen auf nervenfachärztlichem Gebiet sowie um die Bewilligung einer höheren Verletztenrente.

Die im Jahre I. geborene Klägerin war seit Juli 1988 als Aushilfe im Unternehmen des bei der Beklagten versicherten Landwirtes J. in K. beschäftigt.

Am 12. September 1988 erlitt die Klägerin bei der Arbeit einen Unfall, als sie beim Kartoffelroden mit ihren Haaren in die Antriebswelle des Kartoffelroders geriet und sich eine Skalpierungsverletzung des rechtsseitigen Schädels zuzog (Unfallanzeige des Arbeitgebers der Klägerin vom 12. September 1988). Sie wurde daraufhin zur Erstversorgung in die Unfallchirurgische Klinik der Medizinischen Hochschule L. (M.) gebracht und von dort im Anschluss zur plastischen Deckung in die Klinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie im Krankenhaus N. verlegt (Durchgangsarztbericht des Prof. Dr. O. vom 15. September 1988). Dort wurde zunächst zur Defektdeckung ein freier Latissimus-dorsi-Lappen (sehr breiter Hautlappen des Rückens) transplantiert (Zwischenbericht des Prof. Dr. P. vom 19. Oktober 1988). Im Anschluss erfolgten diverse Korrektur-Operationen (u.a. Zwischenbericht des Dr. Q. vom 23. Mai 1989). Nach dem Zwischenbericht des Prof. Dr. P. vom 16. November 1989 war die Klägerin ab dem 6. November 1989 wieder arbeitsfähig.

Die R. Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft, eine Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte), holte die fachchirurgischen Gutachten des Prof. Dr. P. vom 26. Februar 1991 (unter Mitarbeit von Dr. S. und Dr. T.) und vom 1. April 1992 (unter Mitarbeit des Dr. U. und des Dr. V.) ein. In letzterem Gutachten kommt Prof. Dr. P. zu der Einschätzung, dass der Klägerin für die Zeit ab dem 6. November 1989 Verletztenrente auf Dauer zu zahlen ist, wobei die Verletztenrente für die Zeit bis zum 29. Oktober 1991 im Hinblick auf die eingeschätzte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) variiert, für die Zeit ab dem 30. Oktober 1991 auf Dauer nach einer MdE um 25 vom Hundert (v.H.) bemessen wird. Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 1992 den Unfall der Klägerin vom 12. September 1988 als Arbeitsunfall an und gewährte ihr für die Zeit ab dem 6. November 1989 Verletztenrente auf Dauer, wobei die von ihr der Verletztenrente zugrunde gelegte MdE für die Zeiträume bis zum 15. Juli 1991 variiert und ab dem 16. Juli 1991 eine MdE um 25 v.H. angenommen wurde. Als Unfallfolgen anerkannte sie darüber hinaus aufgrund des vorgenannten Gutachtens “Zustand nach Skalpierungsverletzung mit Asymmetrie von Gesicht und Schädel, Haarverlust von 2/3 des haartragenden Kopfteils, Weichteilüberschuss im Bereich der ehemaligen Hautinsel des transplantierten Latissimus-dorsi-Lappens, fehlende Augenbraue rechts.“ Die Klägerin hat diesen Bescheid nicht angefochten.

Mit Schreiben vom 11. Juni 2013, Eingang bei der Beklagten am 12. Juni 2013, beantragte die Klägerin eine „Erhöhung des Grades der MdE“: Bei ihr lägen Konzentrationsstörungen, ständige Kopfschmerzen, Durchschlafstörungen sowie eine Depression und eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vor, welche durch die „Gesichtsdeformierung“ verursacht worden seien. Ihrem Antrag legte die Klägerin den Arztbrief der Psychiaterin W. vom 15. April 2013 bei.

Die Beklagte holte daraufhin das unfallchirurgische Gutachten des Prof. Dr. X. vom 11. September 2013 (unter Mitarbeit des Dr. Y. und des Dr. Z.) ein, wonach sich aus unfallchirurgischer Sicht keine wesentliche Änderung ergeben habe. Die MdE sei weiterhin mit 25 v.H. einzuschätzen. Darüber hinaus holte die Beklagte das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. AA. vom 11. Oktober 2014 ein, in welchem dieser Gutachter der Klägerin eine schwere, lang anhaltende depressive Episo...

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