Entscheidungsstichwort (Thema)

Landwirtschaftliche Alterssicherung. Rente wegen Erwerbsminderung. Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen. schwere spezifische Leistungsbehinderung. Verweisung. allgemeiner Arbeitsmarkt

 

Orientierungssatz

1. Unter den "üblichen Bedingungen" iS des § 43 SGB 6 ist das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, dh unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt. Hierzu gehören sowohl rechtliche Bedingungen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlausregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche und tarifvertragliche Vorschriften, als auch tatsächliche Umstände, wie etwa die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz. Üblich sind Bedingungen, wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl. Eine Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ist insbesondere nicht mehr gegeben, wenn einer der in der Rechtsprechung des BSG anerkannten sog Katalogfälle (vgl BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 = BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) einschlägig ist (vgl BSG vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R = BSGE 109, 189 = SozR 4-2600 § 43 Nr 16).

2. Hieran anknüpfend besteht dann die Pflicht zur Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Hierbei handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die einer Konkretisierung schwer zugänglich sind. Eine vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe sichert, dass immer dann, wenn "ernsthafte Zweifel" bestehen, ob der Versicherte "in einem Betrieb einsetzbar" ist (oder ein Katalogfall vorliegen könnte), die konkrete Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit erfolgen muss, die nicht nur zu dem Vergleich von Leistungsfähigkeit und Anforderungsprofil führt, sondern auch zu der individuellen Prüfung, ob dem Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist oder nicht (vgl BSG vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R aaO).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 24.06.2013; Aktenzeichen B 10 LW 7/13 B)

 

Tenor

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 15. August 2012 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Beklagten werden Gerichtskosten in Höhe von 83,30 € auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die beklagte Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau wendet sich mit ihrer Berufung dagegen, dass das Sozialgericht ihre Rechtsvorgängerin, die Alterskasse für den Gartenbau, zur Gewährung einer Erwerbsminderungsrente an die Klägerin verurteilt hat.

Die im Mai 1957 geborene Klägerin erlernte in der Zeit von April 1975 bis April 1978 den Beruf der Großhandelskauffrau. Anschließend war sie im selben Betrieb bis Februar 1981 als Datentypistin beschäftigt. Nach Arbeitslosigkeit wurde sie in der Zeit von Februar 1982 bis Januar 1984 zur Floristin umgeschult. In den folgenden Jahren arbeitete sie im Gartenbaubetrieb des Ehemannes bis zur Betriebsaufgabe im November 1994 im Rahmen der familienhaften Mithilfe mit; für diese Jahre sind für sie entsprechend Beiträge zur Rechtsvorgängerin der Beklagten entrichtet worden.

Die Klägerin ist Mutter von 5 Kindern, die im Februar 1984, März 1986, November 1990, März 1995 sowie Juli 1999 geboren sind.

Im Oktober 2005 stellte die Klägerin bei der DRV Bund einen Antrag auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente. Diese lehnte mit Bescheid vom 01. Juni 2006 die Gewährung der Erwerbsminderungsrente ab. Mit dem dagegen am 28. Juni 2006 eingegangenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihr rechter Arm und die Hand seien schmerzhaft bewegungseingeschränkt, bei sitzender Tätigkeit bestehe Thrombosegefahr wegen Zustands nach Venenoperation linkes Bein 2001 und sie leide außerdem unter Migräneattacken. Die Beklagte zog Befundberichte des Neurologen H., der Orthopäden D. I. bei, denen weitere Arztunterlagen beigefügt waren. Die Klägerin legte ein Attest der Ärztin J. vom 03. November 2006 (Tendovaginitis rechte Hand, Dupuytren-Kontraktur rechte Hand) vor. Die Begutachtung durch den Facharzt für Nervenheilkunde Dr. K. lehnte sie ab. Nach beratungsärztlicher Stellungnahme nach Aktenlage wies die DRV Bund den damaligen Widerspruch mit Bescheid vom 29. Januar 2007 zurück.

Daraufhin hat die Klägerin Klage gegen die DRV Bund beim Sozialgericht Lüneburg (S 13 R 98/07) erhoben. Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Orthopäden und Rheumatologen Dr. L. vom 06. Juni 2008 und ein dieses Gutachten einbeziehendes neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. M. vom 31. Oktober 2008 eingeholt....

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