Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Einkommenseinsatz. Zinsen aus Schmerzensgeld

 

Leitsatz (amtlich)

Bankzinsen, die aus angelegtem Schmerzensgeld resultieren, sind bei der Festsetzung eine Kostenbeitrages (§ 85 Abs 1 Nr 3 Satz 2 BSHG; § 88 Abs 1 Nr 3 Satz 2 SGB XII) nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

 

Orientierungssatz

Die jährlichen Zinsen aus der Kapitalanlage einer Schmerzensgeldzahlung sind nach § 77 Abs 2 BSHG bzw § 83 Abs 2 SGB 12 nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 28. April 2005 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die zweitinstanzlich angefallenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die stationär untergebrachte Klägerin wendet sich gegen einen Kostenbeitragsbescheid des Beklagten, mit dem jährlich anfallende Zinsen aus einer Schmerzensgeldzahlung als Kostenbeitrag verlangt werden.

Die im August 1962 geborene Klägerin ist geistig behindert (cerebrales Anfallsleiden bei frühem Cerebralschaden; geistige Behinderung vom Grade einer Debilität). Sie ist seit langem in einer Werkstatt für Behinderte in H. aufgenommen. Mit ihrem Bruder ist die Klägerin seit September 1995 in der Wohnanlage der I. H. untergebracht (Kostenanerkenntnis vom 29. August 1995, Eingliederungshilfe gemäß §§ 39, 40 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) iVm § 43 Abs 1 BSHG). Die Klägerin erzielt aus ihrer Tätigkeit in der Werkstatt für Behinderte ein Arbeitseinkommen in Höhe von 95,00 € monatlich; außerdem erhält sie eine Erwerbsunfähigkeitsrente der Landesversicherungsanstalt (LVA) J. (nach dem letzten bekannten Bescheid vom 15. Mai 2004 beträgt die monatliche Zahlung 625,66 €).

Aufgrund eines in der Anlage der I. erlittenen Unfalls erhielt die Klägerin Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 € (Vergleich am 28. August 2003 vor dem Landgericht (LG) H., Aktenzeichen K. - danach zahlt die Beklagte jenes Verfahrens “an die Klägerin 50.000,00 € aus Kulanz ohne Anerkennung einer Rechtspflicht als Schmerzensgeld„ -). Die Betreuerin der Klägerin legte dieses Kapital am 2. Februar 2004 auf einem Sparbuch bei der Sparkasse H. an (Kontonummer L.). Zum 31. Dezember 2004 wies dieses Sparbuch Habenzinsen in Höhe von 228,47 € auf.

Die Zinsen dieses Jahres und die weiteren jährlich anfallenden Zinsen will der Beklagte als Kostenbeitrag vereinnahmen und regelte dies mit Bescheid vom 21. Januar 2004. Die Klägerin legte Widerspruch mit der Begründung ein, die Zinsen dienten dem Erhalt der Kaufkraft der Schmerzensgeldzahlung, die als Vermögen nicht eingesetzt werden müsse. Diese Funktion des Kapitalbetrages könne nur bewahrt werden, wenn neben dem Kapitalbetrag selbst auch die hieraus zu ziehenden Nutzungen sozialhilferechtlich nicht berücksichtigt würden. Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2004 wies das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben - Landessozialamt - den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kostenbeitrag werde zu Recht gefordert, weil es sich bei den jährlichen Zinszahlungen um Einkommen gemäß § 76 Abs 1 BSHG handele. Die Härtefallregelung des § 88 Abs 3 BSHG komme nicht zur Anwendung, weil diese sich nur auf Vermögen beziehe. Mithin seien die Zinsen aus dem Schmerzensgeld nach § 253 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) als Einnahmen zu berücksichtigen. Die Zahlung eines Schmerzensgeldes zur Kompensation eines materiellen Schadens erfolge nach punktueller Einschätzung und Vergütung des verletzten Gutes. Insoweit werde damit der erlittene Schaden vollständig abgedeckt. Eine Verzinsung erhöhe den Schadensausgleich und würde wie im vorliegenden Fall den vereinbarten Vergleich aushöhlen, wenn die Zinsen der Klägerin verblieben.

Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 11. Dezember 2004 zugestellt.

Die Klägerin hat am 11. Januar 2005 Klage beim Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben. Sie hat vorgetragen, dass das Schmerzensgeldkapital einschließlich der durch verzinsliche Anlage zu erzielenden Erträge dem Ausgleich der körperlichen Unversehrtheit mit Dauerfolgen und der schädigungsbedingten Mehraufwendungen diene, welche ihr aufgrund des Unfallereignisses im November 1998 entstanden seien und auch weiterhin entstünden. Die Zinsen dienten allein dem Erhalt der Kaufkraft eines als Vermögen nicht zu berücksichtigenden Kapitalbetrages, der für eine lebenslängliche Beeinträchtigung gezahlt worden sei. Die in § 77 Abs 2 BSHG angeordnete Nichtanrechnung des Schmerzensgeldes als Einkommen müsse dahin verstanden werden, dass ein Schmerzensgeld in vollem Umfang unberücksichtigt bleibe, so dass auch die Zinsen der Kapitalentschädigung nicht als Einkommen zu berücksichtigen seien. Der Beklagte hat zur Stützung seiner Rechtsansicht auf ein Rechtsgutachten des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge hingewiesen (NDV 2003, Seite 35), wonach Zinsen aus einem Schmerzensgeld Einnahmen iS des § 76 BSHG seien.

Das SG hat der Klage mit Urteil vom 28. April 2005 im Wesentlichen stattgegeb...

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