nicht rechtskräftig

 

Verfahrensgang

SG Hannover (Entscheidung vom 15.02.1999; Aktenzeichen S 2 KR 79/98)

 

Tenor

Berufung wird zurückgewiesen Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung in Höhe von 6.508,48 DM für ein Doppelschalensitzfahrrad.

Der am 18. September 1990 geborene Kläger ist bei der Beklagten familienversichert. Er leidet unter einem autistischen Syndrom und habituellem Zehengang mit drohender Achillessehnenverkürzung. Er ist ua sprachbehindert und orientierungslos. Er ist ua mit Beinschienen als Gehhilfe versorgt. Der Kläger hat zwei 1988 und 1994 geborene Brüder.

Am 20. Oktober 1997 beantragte der Kläger bei der Beklagten ein Doppelschalensitzfahrrad unter Vorlage einer Verordnung des D., Sozialpädiatrisches Zentrum im Kinderkrankenhaus auf der E., vom 06. Oktober 1997 und eines Kostenvoranschlages. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 31. Oktober 1997 ab, da die Versorgung mit dem behindertengerechten Fahrrad nicht in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung falle. Es handele sich bei diesem Artikel um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Hiergegen erhob der Kläger am 17. November 1997 Widerspruch und legte eine Stellungnahme der Ärztin für Kinderheilkunde, F., Sozialpädiatrisches Zentrum Hannover, vom 20. November 1997 vor. Darin heißt es ua, dass das Schalen-Doppelfahrrad abgesehen vom therapeutischen Ansatz die Möglichkeit zur Reintegration, nämlich zur Teilnahme an Aktivitäten der Familie biete.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1998 zurück. Sie führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass offen bleiben könne, ob es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele. Jedenfalls sei das begehrte Fahrrad nicht zur Krankenbehandlung erforderlich. Fahrradfahren gehöre grundsätzlich nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen, sondern stelle einen Bereich der eigenverantwortlichen privaten Lebensgestaltung dar. Es werde nicht verkannt, dass die Aktivität des Fahrradfahrens positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden und den Bewegungsablauf des Klägers habe. Das Doppelschalensitzfahrrad setze nicht bei der Behinderung selbst an, sondern lediglich bei deren Folgen und Auswirkungen in einem bestimmten Lebensbereich. Das Fahrrad sei auch sicherlich nicht die einzig denkbare Art, dem Kind die Reintegration zu ermöglichen bzw seinen Aktionsradius zu erweitern.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 12. März 1998 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Er hat vorgetragen, dass das Doppelschalensitzfahrrad kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens sei. Es sei speziell für die Bedürfnisse von Behinderten entwickelt worden und werde von insoweit nicht betroffenen Menschen nicht benutzt. Die besondere Konstruktion ermögliche es auch einem Behinderten, Fahrrad zu fahren. Das Doppelschalensitzfahrrad sei ua erforderlich, der Spitzfussentwicklung entgegenzuwirken. Der Kläger benötige es umfassend zur Integration in den Kreis gleichaltriger Kinder und Jugendlicher, insbesondere seiner nicht behinderten Geschwister. Auf Grund seiner Behinderung könne er nicht oder nur sehr eingeschränkt am üblichen Leben seiner Altersgruppe teilnehmen, wodurch ihm die Isolation drohe. Dies zu verhindern, sei ein elementares Bedürfnis, für das die gesetzliche Krankenversicherung einzustehen habe.

Im Juli 1998 hat der Kläger ein Doppelschalensitzfahrrad mit Zubehör zum Gesamtpreis von 7.208,48 DM erworben.

Das SG Hannover hat mit Urteil vom 15. Februar 1999 den Bescheid der Beklagten vom 31. Oktober 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 1998 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Vater des Klägers 6.508,48 DM auf Grund der Anschaffung eines Schalendoppelfahrrades gemäß Verordnung des D. vom 6. Oktober 1997 zu erstatten. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte die Versorgung des Klägers mit einem Doppel-Schalenfahrrad zu Unrecht abgelehnt habe. Die Voraussetzungen des § 33 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - V Buch (SGB V) lägen vor. Ein Hilfsmittel sei dann erforderlich, wenn sein Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt werde. Dazu zähle auch ein gewisser körperlicher und geistiger Freiraum, der die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfasse. Das Doppelschalensitzfahrrad sei für die Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse des Klägers erforderlich. Er verfüge zwar über einen Schienengehapparat, die Beklagte sei damit aber nicht ihrer Verpflichtung zur Versorgung mit Hilfsmitteln zur Befriedigung des Grundbedürfnisses auf Mobilität nachgekommen. Die Zuordnung bestimmter Betätigungen zu den Grundbedürfnissen hänge ua auch vom Lebensalter des Versicherten ab. Kinder bzw Jugendliche hätten in einer konkreten Entwicklungsphase einen verstärkten Bewegungsdrang, der soziale Kontakt mit gesunden bzw nicht behinderten Altersgenosse...

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