Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Plausibilitätsprüfung. keine missbräuchliche Nutzung einer Praxisgemeinschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Einem in Praxisgemeinschaft mit einem anderen Arzt zusammenarbeitenden Vertragsarzt kann nicht vorgeworfen werden, er führe in Wirklichkeit mit diesem zusammen eine Gemeinschaftspraxis, wenn zwar das Aufgreifkriterium einer Patientenidentität von 20 % erreicht wird, diese bei Berücksichtigung berechtigter Vertreterfälle aber unter 20 % sinkt.
2. Dies gilt zumindest dann, wenn dem geprüften Vertragsarzt keine konkreten Maßnahmen nachgewiesen werden können, die für einen Organisationsmissbrauch sprechen; ihm nicht zurechenbare Maßnahmen des anderen Arztes oder Umstände außerhalb des konkret geprüften Quartals bleiben dabei außer Betracht.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 27. August 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 6.993 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Honorarrückforderung.
Die Klägerin nahm zuletzt als Fachärztin für Allgemeinmedizin und Kinderheilkunde mit Sitz in D. an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Sie betrieb dort bis Ende Dezember 2004 eine Praxisgemeinschaft mit einem Facharzt für Allgemeinmedizin.
Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) stellte im Rahmen einer erweiterten Plausibilitätsprüfung zum Quartal I/2002 fest, dass in diesem Zeitraum 709 von 1.620 Patienten der Klägerin auch bei deren Praxisgemeinschaftspartner in Behandlung waren (Patientenidentität von 43,77 %). Dabei rechneten beide Vertragsärzte ihre Behandlungsleistungen für die überwiegende Anzahl der gemeinsam behandelten Patienten als eigene Leistungen ab, daneben auch als Vertretungsleistungen und (in geringem Umfang) im Bereitschaftsdienst.
Aufgrund der hohen Patientenidentität innerhalb der Praxisgemeinschaft berichtigte die Beklagte die Honorarabrechnung der Klägerin für das Quartal I/2002 um insgesamt 6.992,76 Euro (Bescheid vom 14. Oktober 2003). Anhand der Einlassungen der Klägerin und der Überprüfung von zehn stichprobenhaft ausgewählten Beispielsfällen zeige sich, dass der Behandlungsablauf in der Praxisgemeinschaft der Klägerin arbeitsteilig wie in einer genehmigungspflichtigen Gemeinschaftspraxis (heute: Berufsausübungsgemeinschaft) und damit pflichtwidrig organisiert sei. Die Klägerin selbst nehme jeweils am Dienstag ihre Praxistätigkeit nur im eingeschränkten Umfang wahr; der Praxisgemeinschaftspartner betreue am Donnerstagvormittag eine Facheinrichtung für Intensivpflege in Barßel und stehe daher erst nachmittags zur regulären Sprechstunde zur Verfügung. Die offensichtlich aufeinander abgestimmte, regelmäßige Abwesenheit der Praxisgemeinschaftspartner an bestimmten Wochentagen sei für die hohe Anzahl von Vertreterfällen verantwortlich und belege, dass die Praxisgemeinschaftspartner die allgemein üblichen Sprechstundenzeiten letztlich arbeitsteilig wahrnehmen würden. Die Klägerin könne für ihre vertragsärztliche Tätigkeit im überprüften Quartal daher nur den fallwertbezogenen Anteil an der Vergütung einer hypothetischen Gemeinschaftspraxis beanspruchen. Die Differenz zwischen den Honorarabrechnungen der Praxisgemeinschaftspartner und dem Vergütungsanspruch einer hypothetischen Gemeinschaftspraxis betrage vorliegend 14.189,86 Euro, wobei sich für die Klägerin (anteilig) eine sachlich-rechnerische Berichtigung iHd streitbefangenen Betrags ergebe.
Der gegen diese Entscheidung von der Klägerin eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 5. April 2004).
Die Klägerin hat am 19. April 2004 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Es treffe zu, dass sie und ihr Praxisgemeinschaftspartner am Dienstag bzw Donnerstag die Praxistätigkeit nur im eingeschränkten Umfang ausgeübt hätten. Die Patienten des jeweils anderen Praxisgemeinschaftspartners seien jedoch nur dann behandelt worden, wenn ein akuter und nicht verschiebbarer Behandlungsbedarf bestanden habe. Ferner treffe es zu, dass sie die Behandlungsleistungen immer als Vertreterin ihres Praxisgemeinschaftspartners abgerechnet habe. Ihr sei nicht bekannt gewesen, dass sie in diesen Fällen einen Notfallschein hätte anlegen müssen. Im Übrigen seien die von der Beklagten im Verwaltungsverfahren berücksichtigten Daten für die Berechnung der Patientenidentität in der Praxisgemeinschaft unzutreffend.
Das SG hat der Klage mit Urteil vom 27. August 2008 stattgegeben und den Bescheid der Beklagten vom 14. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2004 aufgehoben. Die Beklagte sei nicht berechtigt, die Abrechnung der Klägerin im Quartal I/2002 richtigzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei bei fachidentischen Praxisgemeinschaften eine Patientenidentität von 20 % und bei fachübergreifenden Praxisgemeinschaften von 30 % zulässig. Die Kläg...