Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz trotz selbstgeschaffener Gefahr
Orientierungssatz
1. Bei der Frage, ob eine unfallbringende Verrichtung der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, kommt der Handlungstendenz des Versicherten besondere Bedeutung zu.
2. Verunglückt ein Versicherter unter ungeklärten Umständen an seinem Arbeitsplatz, so entfällt der Versicherungsschutz nur dann, wenn bewiesen wird, dass er die versicherte Tätigkeit für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen hat (BSG, Urteil vom 4.9.2007, B 2 U 28/06).
3. Hat sich der Verunglückte während der versicherten Tätigkeit eine Zigarette angezündet und hierdurch den Arbeitsunfall verursacht, so stellt dies entweder eine unerhebliche private Verrichtung dar oder es wäre Teil einer gemischten Tätigkeit gewesen. In beiden Fällen besteht Unfallversicherungsschutz.
4. Unfallversicherungsschutz wegen einer selbstgeschaffenen Gefahr entfällt nur dann, wenn ein Beschäftigter sich derart sorglos und unvernünftig verhält, dass für den Eintritt des Arbeitsunfalls nicht mehr die versicherte Tätigkeit, sondern die selbstgeschaffene Gefahr als die rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen ist (BSG, Urteil vom 12.4.2005, B 2 U 11/04 R).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 4. November 2016 und der Bescheid der Beklagten vom 13. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2015 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Kläger am 9. Juli 2014 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Feststellung eines Arbeitsunfalles vom 9. Juli 2014.
Der im Jahre 1990 geborene Kläger war seit Februar 2014 als Tankwerker bei der J. in K., einem Unternehmen der L. GmbH und Mitgliedsunternehmen der Beklagten, versicherungspflichtig beschäftigt.
Am 9. Juli 2014 erlitt der Kläger bei Auskleidungsarbeiten (Leckschutzauskleidung) in einem 5.000 Liter Heizöl fassenden metallenen Öltank (4,5 x 1,5 x 1,5 Meter Größe) in Paderborn einen Unfall, als es zu einer Verpuffung kam. Laut Durchgangsarztbericht des Dr. M. vom 11. Juli 2014 zog der Kläger sich dabei schwerste Verbrennungen an insgesamt 68 vom Hundert (v.H.) der Körperoberfläche zu. Als Ursache der Explosion wurde in diesem Bericht ausgeführt, dass der Kläger sich im Tank eine Zigarette angezündet habe.
Nachdem die Mutter des Klägers die Beklagte am 16. Juli 2014 über den vorgenannten Unfall informiert hatte, leitete die Beklagte ein Feststellungsverfahren ein. In diesem Zusammenhang zog sie den o.g. Durchgangsarztbericht bei und holte die Unfallanzeige der Arbeitgeberin des Klägers vom 23. Juli 2014 ein. Darüber hinaus nahm sie Einsicht in das von der Staatsanwaltschaft (StA) Paderborn zu diesem Unglück geführte Ermittlungsverfahren (Az. 10 Js 181/14). In dieser Akte ist der Vermerk des Polizeihauptkommissars (PHK) N. vom 9. Juli 2014 enthalten, nach welchem der Mitarbeiter der Firma J. Herr O., der am Unglückstag mit dem Kläger zusammengearbeitet hatte, angegeben habe, dass sie im Auftrag ihrer Firma Arbeiten in dem Tank verrichtet hätten. In diesem Zusammenhang hätten sie die Innenhöhle des Tanks mit einem Sprühkleber versehen. Herr O. sei aus dem Tank geklettert, um Vlies (nächster Arbeitsschritt) aus dem Firmenwagen zu holen, als es einen Knall gegeben habe. Zu dem Zeitpunkt, als er aus dem Tank geklettert sei, habe der Kläger geraucht, obwohl er - Herr O. - ihm dies schon mehrfach untersagt habe. Aus dem vom selben Polizisten gefertigten Tatbefundbericht vom 10. Juli 2014 ergibt sich, dass direkt vor der kleinen Türöffnung zum Öltankraum auf dem Boden eine geöffnete Schachtel Zigaretten und mehrere Zigarettenkippen festgestellt werden konnten. In der geöffneten Türöffnung zum Öltankraum sei ein Einwegfeuerzeug festgestellt worden. Herr O. gab auf Nachfrage an, dass es sich bei den aufgefundenen Zigaretten und dem Feuerzeug um seine Sachen gehandelt habe. Sowohl er als auch der Kläger hätten im Verlauf des Tages in den Kellern Zigaretten geraucht. Während und nach den Arbeiten hätte er - Herr O. - jedoch nicht mehr im Keller geraucht. Er habe auch den Kläger darauf hingewiesen, dass zu diesen Zeitpunkten nicht mehr geraucht werden dürfe. Der Kläger habe nach Angaben des Herrn O. in dem 1,50 Meter tiefen Öltank gestanden, als er sich mit einem Feuerzeug eine Zigarette anzünden wollte. Laut Vermerk des PHK N. vom 15. Juli 2014 über ein Telefonat mit der Mutter des Klägers am selben Tag habe diese berichtet, dass der Mitarbeiter O. mittlerweile vier verschiedene Versionen des Unfalls vom 9. Juli 2014 erzählt habe. Nach dem Vermerk des PHK N. vom 16. Juli 2014 über ein Telefonat mit dem Dipl.-Ing. P. Q. über den Unfallhergang teilte Herr Q. mit, dass die brennbaren Gase in dem vom Kläger und Herrn O. verwendeten Pattex-Kleber schwerer als Luft seien. Da der Mitarbeiter O. durch die Exp...