Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei längerer stationärer Unterbringung. Begriff der stationären Einrichtung
Leitsatz (amtlich)
1. Unter einer stationären Einrichtung ist eine auf Dauer angelegte Kombination von sächlichen und personellen Mitteln zu verstehen, die zu einem besonderen Zweck und unter der Verantwortung eines Trägers zusammengefasst wird und die für einen größeren wechselnden Personenkreis bestimmt ist. Der Einrichtungsbegriff ist grundsätzlich erfüllt, wenn neben der Vollunterbringung der Einrichtungsträger von der Aufnahme des Hilfeempfängers bis zu dessen Entlassung nach Maßgabe des angewandten Therapiekonzeptes die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Hilfeempfängers übernimmt und Gemeinschaftseinrichtungen vorhanden sind (Anschluss ua an BVerwG vom 24.2.1994 - 5 C 24/92 - BVerwGE 95, 149).
2. Aufgrund der Verzahnungen und Verschränkungen zwischen den Rechtsgebieten des SGB 2 und SGB 12 ist der Begriff der stationären Einrichtung in beiden Rechtsgebieten inhaltlich übereinstimmend auszulegen und anzuwenden.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 21.November 2005 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 14. Juni 2006. Streitig ist die Frage, ob die Klägerin sich in dieser Zeit in einer Leistung ausschließenden stationären Einrichtung aufgehalten hat.
Die im April 1980 geborene Klägerin wurde am 2. August 2004 in das H. in I. aufgenommen. Dort verblieb sie bis zum 14. Juni 2006, zum 15. Juni 2006 bezog die Klägerin eine eigene Wohnung. Träger des J. ist die Katholische Kirche, und zwar der Katholische K. in I. ≪L. ≫. Ziel des Hilfeangebotes des J. ist es, Frauen zu einer selbstständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung zu befähigen, die der Würde des Menschen entspricht.
Den wohnungslosen Frauen wird durch das Schaffen sozialer und wirtschaftlicher Voraussetzungen und durch den Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen das Bleiben ermöglicht; weiterhin wird geboten Unterstützung bei der Überwindung der sozialen Schwierigkeiten, allgemeine Lebensberatung, Beratung bei der Finanzplanung, Vermittlung an medizinische und soziale Fachdienste, weiterhin Beratung in frauenspezifischen Angelegenheiten, Hilfen zur Ausbildung, Maßnahmen zur Erlangung und Sicherung eines Arbeitsplatzes, Hinführung zum eigenständigen Wohnen, Unterstützung bei der Wohnungssuche, Hilfen zur Begegnung und zur Gestaltung der Freizeit, Hilfe zur Selbsthilfe.
Die Frauen leben in einer Wohngemeinschaft in Einzelzimmern verteilt auf drei Etagen; vorhanden sind Gemeinschaftsräume, Küche, Sanitärbereich, Waschraum mit Waschmaschine und Trockner; insgesamt sind zwölf Plätze vorhanden.
Das H. ist als stationäre Einrichtung für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten anerkannt. Dementsprechend wurden der Klägerin nach ihrer Aufnahme in die Einrichtung Sozialhilfe - Hilfe in besonderen Lebenslagen - nach § 72 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gewährt (Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten). Ab 1. Januar 2005 wurde diese Hilfe nach §§ 67 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) fortgesetzt. Zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts erhielt die Klägerin Leistungen nach § 35 SGB XII (ab 1. Januar 2005 - Barbetrag 89,70 € monatlich; Dispositionsbetrag von 282,00 € pro Jahr für Bekleidung).
Nach Aufnahme der Klägerin in das H. wurde ein Gesamtplan erstellt. Daraus ergibt sich, dass die Klägerin in schwierigen familiären Verhältnissen groß geworden ist, in einem von häuslicher Gewalt geprägten Elternhaus. Ab dem 14. Lebensjahr lebte sie in einem Heim. Es ist ihr danach nicht gelungen, eigenständig in wirtschaftlicher Unabhängigkeit in gesichertem Wohnraum zu leben. Zum Zeitpunkt der Aufnahme in das H. war die Klägerin wohnungslos. Von November 2003 bis Mai 2004 lebte sie mit ihrem Säugling in einer Eltern-Kind-Einrichtung in I.. Nach Wegnahme des Kindes durch Sorgerechtsentzug trat akut Wohnungslosigkeit ein. Eine abgeschlossene schulische Ausbildung besitzt die Klägerin nicht. Als Hilfeziele im Gesamtplan wurden angegeben: Verhütung einer Wohnungslosigkeit und Vermittlung in angemessene Wohnform, Klärung der Bezüge und Stabilisierung der Persönlichkeit, um ein Leben in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen zu ermöglichen, Überprüfung der Arbeitsfähigkeit und Motivation zur Arbeitsaufnahme mit Erarbeitung von realistischen umsetzbaren den Fähigkeiten entsprechenden Beschäftigungsmöglichkeiten, Aufbau tragfähiger sozialer Beziehungen, Stärkung der Frustrationstoleranz und Dialogfähigkeit, Erweiterung hauswirtschaftliche...