Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Kostenerstattung bei Aufenthalt im Frauenhaus. Kosten für die psychosoziale Betreuung. Beschränkung der Erstattungspflicht auf rechtmäßig erbrachte Leistungen. Fehlen einer Leistungsbewilligung gegenüber den Leistungsberechtigten. Kostenzusicherung bzw Direktabrechnung des Jobcenters mit dem Träger des Frauenhauses. Vereinbarung nach § 17 Abs 2 SGB 2. Nichtbestehen eines Erstattungsanspruchs
Orientierungssatz
1. Die Kostenerstattungspflicht gemäß § 36a SGB 2 umfasst grundsätzlich auch Leistungen der psychosozialen Betreuung nach § 16a Nr 3 SGB 2 (vgl BSG vom 23.5.2012 - B 14 AS 190/11 R = BSGE 111, 72 = SozR 4-4200 § 36a Nr 2).
2. Grundlage des Kostenerstattungsanspruchs können nur an die Leistungsberechtigten rechtmäßig erbrachte Leistungen sein. Denn von der Erstattungspflicht nach § 36a SGB 2 werden alle Leistungen erfasst, die vom kommunalen Träger nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 2 an die leistungsberechtigte Frau und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder für die Zeit des Aufenthalts im Frauenhaus rechtmäßig erbracht werden (vgl BSG vom 23.5.2012 - B 14 AS 190/11 R aaO).
Leitsatz (amtlich)
Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 36a SGB II scheidet aus, wenn das zuständige Jobcenter lediglich mit dem Träger des Frauenhauses direkt abgerechnet hat, ohne der Leistungsberechtigen Leistungen im Sinne von § 6 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II bewilligt zu haben.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 22. Juni 2021 abgeändert und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 11.508,96 € festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist strittig, in welcher Höhe der Beklagte dem Kläger die Kosten für den Aufenthalt der D. E. und ihrer Tochter in einem Frauenhaus in Bremen erstatten muss. Hierbei ist insbesondere die Erstattung der Kosten für die psychosoziale Betreuung umstritten.
Die 1986 geborene, erwerbsfähige D. E. hielt sich seit dem 27. Juni 2017 im Bremer Frauenhaus auf und beantragte mit am 27. Juni 2017 unterschriebenem Vordruck, der laut Eingangsstempel am 4. Juni 2017 beim Kläger einging, für sich und ihre am 10. Februar 2017 geborene Tochter F. G. die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Hierbei gab sie an, zuvor in Hanau gewohnt zu haben. Die Aufnahme im Frauenhaus sei aufgrund körperlicher/psychischer Bedrohung/Misshandlung durch den Partner notwendig gewesen. Sie habe sich am Heimatort nicht sicher vor der Bedrohung gefühlt. Die Übernahme der Kosten im Frauenhaus wurde ebenfalls beantragt. Die Höhe der Kosten wurde im Antragsformular nicht angegeben, ein Vertrag mit dem Frauenhaus nicht vorgelegt. Eine Wohnungsgeberbescheinigung des Bremer Frauenhauses und eine Meldebestätigung waren beigefügt. Der Kläger gab gegenüber dem Frauenhaus Bremen Kostenzusicherungen ab. Mit Schreiben vom 5. Juli 2017 erteilte der Kläger eine Kostenzusicherung für den Zeitraum 27. Juni bis 31. Juli 2017 in Höhe von 45,91 € pro Person und machte mit Schreiben gleichen Datums gegenüber dem Beklagten einen Kostenerstattungsanspruch geltend. Am 7. Juli 2017 sprach Frau E. bei der Arbeitsvermittlung persönlich vor, wobei ein Profiling für den Zielberuf „Helfer/in - Reinigung“ erstellt und als gemeinsames Ziel die Aufnahme einer Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt festgelegt wurde. Mit Bescheiden vom 6. Juli und 3. August 2017 gewährte der Kläger Frau E. und ihrer Tochter Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 27. Juni 2017 bis 31. Dezember 2017. Die Leistungsbewilligung erfolgte - laut Bescheid vom 6. Juli 2017 - befristet für sechs Monate, da die Dauer des Aufenthaltes im Frauenhaus noch unklar sei. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt. Hierbei wurden im Rahmen der Bedarfsberechnung ausschließlich die Regelbedarfe sowie der Mehrbedarf für Alleinerziehende berücksichtigt. Kosten der Unterkunft und Heizung oder Betreuungskosten wurden nicht berücksichtigt. Nach Einreichung weiterer Unterlagen (Elterngeld/Unterhaltsvorschuss) erteilte der Kläger mit Schreiben vom 17. August 2017 dem Frauenhaus eine Kostenzusicherung für den Zeitraum 1. bis 31. August 2017 in Höhe des preisrechtlich genehmigten bzw. mit dem Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales vereinbarten Pflegesatzes. Der Eigenanteil betrage insgesamt 83,71 €. Gleichlautende Kostenzusicherungen erfolgten nachfolgend auch für die Monate September und Oktober 2017. Mit Bescheid vom 17. August 2017 gewährte der Kläger Frau E. und ihrer Tochter ab dem 1. August 2017 0 € und hob die insoweit bereits ergangenen Bescheide wegen übersteigenden Einkommens auf. Ab August 2017 bestehe kein Leistungsanspruch beim Jobcenter mehr. Die Kosten für Unterkunft im Frauenhaus betrügen in den Monaten Juli, August, Oktober und Dezember 2017 2.846,42 € und im September und November 2017 2.754,80 €. Ab August könnten nicht mehr...