Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung vor der Leistungsversagung mangels Mitwirkung. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Nachweis der Hilfebedürftigkeit. Warnfunktion. Ermessen
Leitsatz (amtlich)
1. In der Rechtfolgenbelehrung nach § 66 Abs 3 SGB 1 muss nicht bereits die konkret beabsichtigte Entscheidung abschließend angegeben werden.
2. Wäre die Behörde gehalten, ihr Ermessen bereits in dem zur Warnung dienenden Hinweis nach § 66 Abs 3 SGB 1 auf eine ganz bestimmte Rechtsfolge zu konkretisieren, so müsste sie sich damit zwangsläufig der Möglichkeit begeben, auf nachfolgend eintretende Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung sachgerecht zu reagieren.
3. Letztlich entscheidend für den notwendigen Inhalt der Folgenbelehrung nach § 66 Abs 3 SGB 1 ist die damit verfolgte Warnfunktion.
Normenkette
SGB I § 66 Abs. 1 S. 1, Abs. 3
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 23. Mai 2013 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen einen auf der Grundlage des § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ergangenen Versagungsbescheid, der aufgrund fehlender Mitwirkung ergangen ist.
Der 1949 geborene Kläger beantragte erstmals im Mai 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Diesen Antrag lehnte die Rechtsvorgängerin des Beklagten mit Bescheid vom 25. Juni 2010 ab, da der Kläger über Vermögen i. H. von mehr als 15.000 € verfügte, das seine Vermögensfreibeträge i. H. v. insgesamt 9.750 € überstieg. Der Kläger legte Widerspruch ein. Am 12. August 2010 stellte er erneut einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen, während des laufenden Widerspruchsverfahrens, in welchem alsdann ein zurückweisender Widerspruchsbescheid der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 23. August 2010 unter Hinweis auf das vorhandene Vermögen erging.
Hinsichtlich des Neuantrages vom 12. August 2010 forderte die Rechtsvorgängerin des Beklagten den Kläger mit Schreiben vom 2. September 2010 zur Mitwirkung auf und bat um eine persönliche Vorsprache, die Einreichung vollständiger Antragsunterlagen oder eine Verzichtserklärung. Der Kläger kam dieser Aufforderung durch Einreichung von Antragsunterlagen nach. Mit Schreiben vom 7. Oktober 2010 erging eine neue Aufforderung zur Mitwirkung unter Hinweis auf eine - in den Verwaltungsakten nicht enthaltene - Aufforderung vom 16. September 2010, nunmehr fehlten noch die Kopien bestimmter Kontoauszüge, auch dieser Vorgang wurde anschließend erledigt.
Mit erneuter Aufforderung zur Mitwirkung vom 13. Oktober 2010 teile die Rechtsvorgängerin des Beklagten dem Kläger mit, dieser habe nach seinen eigenen Angaben im Zeitraum von Juni bis September 2010 insgesamt 8.320,49 € seines Vermögens verbraucht. Er werde insoweit aufgefordert, Nachweise über die Verwendung des genannten Betrages bis zum 30. Oktober 2010 vorzulegen. Hieran wurde er mit Aufforderungsschreiben vom 3. November 2010 unter Fristsetzung bis zum 20. November 2010 erinnert, nachdem der Kläger sich auf “diverse Anschaffungen„ berufen hatte. Ferner teilte der Kläger mit, am 3. Oktober 2010 sei sein Vater verstorben und habe seinen Geschwistern und ihm eine Immobilie hinterlassen. Diesbezüglich wurde der Kläger gleichfalls im genannten Schreiben um nähere Angaben gebeten. An die Aufforderung zur Mitwirkung vom 3. November 2010 wurde der Kläger durch Schreiben der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 30. November 2010 unter Fristsetzung auf den 17. Dezember 2010 erinnert, wobei dieses Schreiben - wie sämtliche vorausgegangenen Aufforderungs- und Erinnerungsschreiben - eine Belehrung in folgendem Wortlaut enthielt: “Haben Sie bis zum genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, können die Geldleistungen ganz versagt werden, bis Sie die Mitwirkung nachholen (§§ 60, 66, 67 SGB I). Dies bedeutet, dass Sie keine Leistungen erhalten.„
Mit Bescheid vom 21. Dezember 2010 versagte die Rechtsvorgängerin des Beklagten die Leistungen ab dem 12. August 2010 ganz. Sie teilte mit, die Angaben würden für die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen zwingend benötigt, seien aber trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht vollständig vorgelegt worden. Sie habe von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht. Die Behörde sei verpflichtet, wirtschaftlich zu handeln. Hierzu gehöre - auch im Interesse der Gemeinschaft der Steuerzahler - nur bei nachgewiesener Hilfebedürftigkeit und in rechtmäßiger Höhe Leistungen zu erbringen. Es seien keine Ermessensgesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zugunsten des Klägers hätten berücksichtigt werden können. In Abwägung mit dem gesetzlichen Zweck und dem öffentlichen Interesse sei die Leistung dementsprechend zu versagen gewesen. Der Kläger legte Widerspruch ein, den ...