Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Beitragsnachforderung. Verstoß gegen objektiv zentrale arbeitgeberbezogene Pflichten des Sozialversicherungsrechts. Formulierung "kann" in § 28f Abs 2 S 1 SGB 4 ist nicht im Sinne einer Einräumung von Ermessen zu interpretieren. Schwarzlohnzahlung. Erfordernis eines substantiierten und detaillierten Vortrags seitens des Arbeitgebers zu etwaigen Umständen, die hier der Annahme einer vorsätzlichen Beitragshinterziehung entgegenstehen könnten. sozialrechtliche Voraussetzungen einer sozialrechtlichen Zeitgeringfügigkeit sind unabhängig von den Voraussetzungen einer steuerrechtlichen Geringfügigkeit zu prüfen. illegales Beschäftigungsverhältnis. Erfordernis des bedingten Vorsatzes
Leitsatz (amtlich)
1. Die in § 28f Abs 2 S 1 SGB IV vom Gesetzgeber gebrauchte Formulierung "kann" ist im Sinne einer Kompetenzzuweisung, nicht aber im Sinne einer Einräumung von Ermessen zu interpretieren.
2. Da die subjektiven Vorstellungen und Erwägungen der auf Seiten des Arbeitgebers für die Geschäftsführung und damit auch für die Beitragsabführung verantwortlichen Personen seiner eigenen Sphäre zuzuordnen sind, obliegt diesem schon im Ausgangspunkt ein substantiierter und detaillierter Vortrag zu etwaigen Umständen, die bei "Schwarzlohnzahlungen" der Annahme einer vorsätzlichen Beitragshinterziehung entgegenstehen könnten.
Orientierungssatz
1. Die sozialrechtlichen Voraussetzungen einer sozialrechtlichen Zeitgeringfügigkeit im Sinne des § 8 Abs 1 Nr 2 SGB 4 sind eigenständig und unabhängig von den Voraussetzungen einer steuerrechtlichen Geringfügigkeit im Sinne von § 40a EStG zu prüfen.
2. Eine "Illegalität" des Beschäftigungsverhältnisses iS des seit dem 1.8.2002 geltenden § 14 Abs 2 S 2 SGB 4 liegt nicht bereits dann vor, wenn die Nichtzahlung von Steuern und Beiträgen zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung (allein) aus Anlass ("bei") einer objektiven Verletzung dieser Zahlungspflichten und mit ihnen einhergehender, hierauf bezogener Pflichten erfolgt, also darauf beruht. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Pflichtverstöße von einem subjektiven Element in der Form eines (mindestens bedingten) Vorsatzes getragen sind (vgl BSG vom 09.11.2011 - B 12 R 18/09 R = BSGE 109, 254 = SozR 4-2400 § 14 Nr 13). Objektivrechtlich werden insbesondere Schwarzlohnzahlungen - wie sie auch im vorliegenden Zusammenhang festzustellen sind - vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift umfasst.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der nicht erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die klagende Gesellschaft bürgerlichen Rechts wendet sich gegen die auf der Grundlage einer Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV festgesetzte Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung in einer Gesamthöhe von 393.781,71 € unter Einschluss von Säumniszuschlägen in Höhe von 187.514,73 €.
Die Klägerin führt einen Gaststättenbetrieb. Gesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin sind seit 2005 N. (Großmutter) mit einem Anteil von 30 %, O. (Sohn) mit einem Anteil von 60 % und P. (Enkel) mit einem Anteil von 10 %.
N. ist 1938 geboren. Sie heiratete 1965 in den damaligen landwirtschaftlichen Betrieb ein und nahm 1979 ohne spezifische berufliche Ausbildung gemeinsam mit ihrer Schwiegermutter den Gaststättenbetrieb auf (wobei es allerdings auch frühere “Aufzeichnungen über die Schankwirtschaft„ bereits aus dem Jahr 1949 geben soll). Ihr 1966 geborener Sohn O. absolvierte Berufsausbildungen zum Restaurantfachmann und zum Koch und gehört seit 1990 zu den Gesellschaftern. Sein 1986 geborener Sohn P. (der Enkel von N.) hat eine Berufsausbildung zum Hotelfachmann durchlaufen und 2010 ein Fachhochschulstudium mit dem Abschluss eines Betriebswirts erfolgreich beendet.
Die Klägerin ist nach Maßgabe ihrer offiziellen Lohnbuchhaltung Arbeitgeberin von etwa 30 (ausweislich der von der Klägerin abgegebenen Anmeldungen zur Sozialversicherung überwiegend geringfügig beschäftigten) ArbeitnehmerInnen gewesen.
Im Zuge einer im Jahr 2007 durchgeführten Steuerfahndung wurden Unterlagen beschlagnahmt, aus denen hervorging, dass außerhalb der zuvor im Rahmen der Buchhaltung erfassten und bei den Steuererklärungen berücksichtigten Erlöse und Lohnaufwendungen der Betrieb über Jahre hinweg über weitere - gegenüber den Finanzbehörden verschwiegene - Einnahmen in erheblichem Umfang verfügt hatte. Mit diesen verschwiegenen Einnahmen korrespondierten weitere Lohnaufwendungen, die ebenfalls in den zuvor geführten - den Steuererklärungen und den Anmeldungen zur Sozialversicherung zugrunde gelegten - Buchführungsunterlagen nicht berücksichtigt worden waren.
Im Ausgangspunkt ist dieser Sachverhalt unstreitig.
Im Zuge der daraufhin im vierten Quartal 2007 von den Finanzbehörden eingeleiteten Lohnsteuerprüfung verständigte sich die (fachkundig durch ihren Steuerberater vertretene) Klägerin mit der Fi...