Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufsichtsrecht. Soziale Pflegeversicherung. Nichtanwendbarkeit des § 197b SGB 5 "Aufgabenerledigung durch Dritte". Unzulässigkeit der Übertragung der den Pflegekassen obliegenden Aufgaben im Zusammenhang mit Leistungen der Verhinderungspflege, dem Entlastungsbetrag und Beratungsbesuchen auf private Dienstleister. Datenschutz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Übertragung der den Pflegekassen obliegenden Aufgaben nach dem SGB XI im Rahmen des sog Outsourcing auf private Dienstleister ermangelt einer hierzu ermächtigenden Rechtsgrundlage. Insbesondere die für die Gesetzliche Krankenversicherung geltende Regelung des § 197b SGB V (Aufgabenerledigung durch Dritte) ist im Rahmen der Sozialen Pflegeversicherung nicht anwendbar.

2. Die von den Pflegekassen zu erbringenden Arbeitsschritte im Zusammenhang mit Beratungseinsätzen (§ 37 Abs 3 SGB XI), Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI) und zusätzlichen Betreuungsleistungen (Entlastungsbetrag gem § 45b SGB XI) berühren zudem das der Steuerung der Leistungserbringung dienende Fall- bzw Leistungsmanagement und können daher als wesentliche Aufgaben zur Versorgung der Versicherten iS von § 197b S 2 SGB V nicht auf Dritte übertragen werden.

 

Orientierungssatz

Die Vorschrift des § 94 Abs 1 Nr 3 SGB 11 erlaubt zwar den Pflegekassen eine Verarbeitung rechtmäßig erhobener Sozialdaten der Versicherten, nicht hingegen eine Erhebung, Speicherung oder Verarbeitung von Daten, die aus Maßnahmen im Rahmen einer unzulässigen Kooperation mit einem privaten Dritten stammen (vgl BSG vom 8.10.2019 - B 1 A 3/19 R = BSGE 129, 156 = SozR 4-2500 § 11 Nr 6, RdNr 34).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 30.08.2023; Aktenzeichen B 3 A 1/22 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird endgültig auf 5.000,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung über einen aufsichtsrechtlichen Verpflichtungsbescheid.

Die Klägerin wurde nach einer Fusion zum 1.1.2022 Rechtsnachfolgerin der im Rahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung als Trägerin (§ 1 Abs. 3 SGB XI) tätigen konzerninternen J. (im Folgenden: K.) mit seinerzeit ca. 56.000 Versicherten und Sitz in Celle/Niedersachsen.

Im Dezember 2017 unterrichtete die K. die Beklagte unter Vorlage eines (noch nicht unterschriebenen) Dienstleistungsvertrages „Pflegekasse“ mit einer Laufzeit vom 2.1.2018 bis 31.3.2018 über die geplante Übertragung von unterstützenden, zunächst nicht weiter konkretisierten Aufgaben im Bereich der Pflege auf das in L.. ansässige private Dienstleistungsunternehmen M. (im Folgenden: N.). Wegen stark steigender Fallzahlen und Personalausfällen sowie einer Umbesetzung in der Fachteamleitung seien erhebliche Rückstände aufgelaufen, deren Bearbeitung ausgelagert werden solle. Die Fallentscheidung bleibe der K.vorbehalten. Die Beklagte bat um Übersendung ergänzender Vertragsunterlagen, aus denen hervorgehe, welche Aufgaben der Dienstleister übernehmen solle, und teilte der K. zugleich mit, dass sachbearbeitende Aufgaben der Leistungsgewährung mit Kundenkontakt als Kernaufgaben der gesetzlichen Krankenkassen einem Outsourcing auf private Dienstleister grundsätzlich nicht zugänglich seien. Beabsichtigt sei offenbar die Bearbeitung von Fallakten im Kundenservice-Center des Dienstleisters. Nur im Hinblick auf die Behebung eines kurzfristigen personellen Engpasses werde von einer Beanstandung vorerst abgesehen.

Im März 2018 teilte die K. der Beklagten mit, dass aufgrund ihrer aktuellen Personalsituation eine weitere Unterstützung durch die N. bis zum 30.6.2018 vereinbart worden sei. Ausweislich der (nunmehr erstmals) vorgelegten „Prozessbeschreibung“ übernehme der Dienstleiter u.a. Aufgaben im Zusammenhang mit Beratungseinsätzen (§ 37 Abs. 3 SGB XI), Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI) und zusätzlichen Betreuungsleistungen (Entlastungsbetrag gem. § 45b SGB XI). Im Juli 2018 informierte die K. die Beklagte darüber, dass sie den Vertrag mit dem Dienstleister wie vorgesehen beendet habe, jedoch mit diesem befristet bis zum 31.12.2018 weiter zusammenarbeiten werde. Die Zusammenarbeit beschränke sich auf die Prüfung und Begleichung von Rechnungen in den Bereichen Beratungseinsätze, Verhinderungspflege und Entlastungsleistungen.

Per E-Mail teilte die K. der Beklagten am 19.12.2018 mit, dass nach einer aktuellen Analyse eine weitere Verlängerung des Vertrages notwendig sei. Die Beklagte antwortete hierauf im Juni 2019, dass eine dauerhafte Tolerierung dieser Verfahrensweise nicht in Betracht komme. Eine weitere Zusammenarbeit sei allenfalls dann denkbar, wenn die N. ausschließlich fiskalische Aufgaben außerhalb der Sachbearbeitung ohne Kontakt zu Versicherten wie Postdienstleistungen (Scannen und Indizieren der Eingangspost), Datenannahme und -aufarbeitung oder nachträgliche Rechnungsbearbeitung im Verhältnis der Krankenkasse zu Leistungserbringern übernehme. Die K. legte der Beklagten sodann den im August 2018 mit der...

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