Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. besondere beruflichen Betroffenheit. Erhöhung des Grads der Schädigungsfolgen um mehr als 10. Erfordernis einer außergewöhnlich großen besonderen beruflichen Betroffenheit. spezifische Berufsbezogenheit. Auswirkungen auf den konkret ausgeübten Beruf. allgemeine Verdiensteinbußen nicht ausreichend. Verlust eines außergewöhnlichen Berufs. Beschädigtenrente. GdS. Besondere berufliche Betroffenheit. Aufgabe jeglicher Erwerbstätigkeit. Ergotherapeutin. Ermessen

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen für eine Erhöhung des GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nach § 30 Abs 2 BVG.

 

Orientierungssatz

1. Eine Erhöhung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) um mehr als 10 wegen besonderer beruflicher Betroffenheit kann überhaupt nur in Betracht kommen, wenn die besondere berufliche Betroffenheit außergewöhnlich groß ist (vgl BSG vom 14.3.1975 - 10 RV 189/74 = SozR 3100 § 30 Nr 6).

2. Mit Rücksicht auf die seit Anfang 1979 geänderte Rechtslage erscheint es für die Zeit nach Ende 1978 nicht mehr geboten, durch Auslegung des § 30 Abs 2 BVG Kompensationsmöglichkeiten auch für solche Verdiensteinbußen zu schaffen, die gar nicht - ausschließlich - in dem Beruf des Beschädigten sondern allgemein eingetreten sind.

3. Vor diesem Hintergrund zieht der Senat die Annahme eines außergewöhnlich großen beruflichen Betroffenseins dann in Betracht, wenn zu dem Zwang zur Aufgabe des Vergleichsberufes weitere, aus dem Vergleichsberuf resultierende Umstände hinzutreten, die diesen Verlust als außergewöhnlich schwerwiegend erscheinen lassen.

4. Das mag möglicherweise in Betracht kommen, wenn der nach § 30 Abs 2 BVG zu betrachtende Vergleichsberuf entweder eine außergewöhnlich hohe - also deutlich über das Maß einer üblichen beruflichen Qualifikation hinausgehende - fachliche Qualifikation oder eine außergewöhnlich langwierige Ausbildung oder Einarbeitung voraussetzt oder wenn er aus sonstigen Gründen mit einem ganz besonders herausragenden sozialen Ansehen versehen ist oder wenn er mit außergewöhnlich großen Verdienstchancen verbunden ist oder realistische Aufstiegschancen zum Erreichen eines dergestalt außergewöhnlich wertigen Berufes geboten hat (hier verneint für den Beruf einer Ergotherapeutin).

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 1-2, § 29; SGG § 54 Abs. 2 S. 2, § 99 Abs. 1

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 16. April 2013 wird aufgehoben, soweit die Beklagte verurteilt worden ist,

a. der Klägerin für die Zeit vor dem 1. Januar 2004 Beschädigtenrente nach einem wegen besonderer beruflicher Betroffenheit erhöhten Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit sowie Berufsschadensausgleich zu gewähren,

und

b. den bei der Klägerin für die Zeit seit dem 1. Januar 2004 festzustellenden Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit/Grad der Schädigungsfolgen wegen besonderer beruflicher Betroffenheit um mehr als 10 zu erhöhen.

Insoweit wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin 2/3 ihrer außergerichtlichen Kosten erster Instanz zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin wegen der Folgen einer Gewalttat i.S. von § 1 OEG i.V.m. § 30 BVG eine Höherbemessung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sowie Berufsschadensausgleich auch bereits vor dem 1. Januar 2004 zustehen sowie weiterhin darüber, ob die Erhöhung des Grades der MdE/ des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) wegen der besonderen beruflichen Betroffenheit um mehr als 10 zu erfolgen hat.

Die 1970 geborene Klägerin hat im Januar 1996 eine Ausbildung zur staatlich examinierten Ergotherapeutin erfolgreich abgeschlossen und war in der Folgezeit in diesem Beruf erwerbstätig. Am 8. Juni 1998 wurde sie Opfer einer Vergewaltigung. Das Amtsgericht Hamburg hat den Täter mit Urteil vom 16. Juli 1999 (Az.: 136 LS/4150 Js 260/98) wegen der Tat zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Das Sozialgericht Berlin hat mit Urteil vom 16. Januar 2004 (Az.: S 33 VG 130/00) die Beklagte verurteilt, bei der Klägerin als Schädigungsfolgen des angeschuldigten Ereignisses eine posttraumatische Belastungsstörung festzustellen und ihr deswegen Beschädigtenrente gemäß § 30 Abs. 1 BVG nach einer MdE von 50 v.H. für die Zeit von Juni 1998 bis August 1999, von 40 v.H. für die Folgezeit bis September 2001 und von 25 v.H. ab Oktober 2001 zu gewähren. Das Urteil hat die Beklagte mit Bescheid vom 25. Mai 2004 ausgeführt.

Mit weiterem Bescheid vom 13. Januar 2006 lehnte die Beklagte die Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG wegen besonderer beruflicher Betroffenheit sowie die Gewährung von Berufsschadensausgleich ab. Ein solcher Anspruch könne wegen des von § 29 BVG bestimmten Aufschubes bis zum Abschluss von Rehabilitationsmaßnahmen frühestens ab dem 1. Dezember 2002 bestehen. Ein relevanter beruflicher Schaden sei der Klägerin aber nicht entstanden. Sie habe zum Zeitpunkt der Schädigung in einem bis zum 15. Sept...

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