Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Kostenerstattungsansprüche nach § 107 BSHG. Geltung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Anwendung alten oder neuen Rechts. Grundsätze des intertemporalen Verwaltungsrechts. Interessenwahrungsgrundsatz. keine Prozesszinsen

 

Leitsatz (amtlich)

Einem Erstattungspflichtigen ist es nach den auch im Verhältnis zwischen Sozialleistungsträgern geltenden Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt, sich zur Abwehr des Erstattungsanspruchs auf eine falsche Berechnung des Erstattungsberechtigten zu berufen, wenn bei richtiger Berechnung ebenfalls ein Erstattungsanspruch in zumindest gleicher Höhe gegeben ist.

 

Orientierungssatz

1. § 107 BSHG ist unter Berücksichtigung der Grundzüge des intertemporalen Verwaltungsrechts auf noch nicht abgeschlossene Kostenerstattungsfälle (hier der Jahre 1998 bis 2000) weiter anzuwenden (vgl LSG Celle-Bremen vom 7.9.2007 - L 8 SO 4/07 NZB).

2. Der Interessenwahrungsgrundsatz iS des § 111 Abs 1 BSHG steht einer Kostenerstattung zwischen Sozialleistungsträgern untereinander nicht entgegen.

3. Für Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger untereinander sind Prozesszinsen nicht zu entrichten (Anschluss an BSG vom 28.10.2008 - B 8 SO 23/07 R = BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2).

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 22. Februar 2007 aufgehoben, soweit danach Zinsen zu erstatten sind.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 8.645,03 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Sozialhilfekosten, die sie in der Zeit vom 1. Oktober 1998 bis zum 27. September 2000 für die Hilfebedürftige D. (im Folgenden: Hilfebedürftige) und ihre vier Kinder aufgewendet hat. Streitig ist dabei insbesondere, ob das Kindergeld bei der Hilfebedürftigen oder den Kindern als Einkommen hätte berücksichtigt werden müssen.

Die Hilfebedürftige lebte bis September 1998 mit ihrem Ehemann und den vier Kindern in Berlin; die Familienmitglieder bezogen dort laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Ausweislich einer Bescheinigung des für den Beklagten handelnden Bezirksamts Wedding erhielt die Hilfebedürftige laufende Leistungen bis zum 30. September 2009. Bereits im August 1998 hatte sie sich beim Sozialamt in Braunschweig gemeldet und angegeben, sie wolle sich von ihrem Mann trennen und in Braunschweig eine eigene Wohnung anmieten; ein Sozialhilfeantrag wurde ihr ausgehändigt. Am 21. September 1998 hielt sich die Hilfebedürftige noch in Berlin auf (an diesem Tag hatte sie einen Termin beim Bezirksamt Wedding), am 27. September 1998 zog sie mit ihren Kindern nach Braunschweig um und hielt sich dort vorübergehend bei einer Freundin auf. Vermutlich am 7. Oktober 1998 bezog sie mit den Kindern eine eigene Wohnung (Aushändigung der Schlüssel am 6. Oktober 1998; Einzugsdatum laut Anmeldung bei der Meldebehörde 5. Oktober 1998; Beginn des Mietvertrages laut Mietvertrag am 1. November 1998, die Wohnung konnte danach wegen Renovierungsarbeiten bereits vorher mietfrei genutzt werden).

Ab dem 1. Oktober 1998 erhielt die Hilfebedürftige von der Klägerin laufende Leistungen nach dem BSHG in unterschiedlicher Höhe bis über den Monat September 2000 hinaus. Ihre Kinder erhielten nur teilweise laufende Leistungen, weil bei ihnen das Kindergeld und Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) als Einkommen berücksichtigt wurden; im Oktober 1998 erhielten sie (laufende und einmalige) Leistungen in Höhe von insgesamt 1.000,55 DM gleich 511,57 €, in den Monaten November und Dezember 1998 keine Leistungen. Die Aufwendungen für die Hilfebedürftige beliefen sich für die Zeit vom 1. Oktober 1998 bis zum 30. September 1999 auf 8.984,62 DM und vom 1. Oktober 1999 bis zum 27. September 2000 auf 6.923,03 DM, zusammen auf 15.907,65 DM gleich 8.133,45 €. Bei den Leistungen berücksichtigte die Klägerin an Kosten der Unterkunft nur die nach ihrem Mietspiegel für fünf Personen angemessenen Kosten von 793,25 DM (anstelle 892,77 DM) ab dem Monat November 1998.

Mit Schreiben vom 9. November 1998 bat die Klägerin das Bezirksamt Wedding um Anerkennung seiner Kostenerstattungspflicht, eine Reaktion erfolgte vorerst auch nach diversen Erinnerungen nicht. Erst mit Schreiben vom 26. November 2001 erkannte das nunmehr wohl für den Beklagten handelnde Bezirksamt Mitte die Kostenerstattungspflicht dem Grunde nach an. Nachdem die Klägerin am 8. Juni 2005 (den Akten der Beteiligten ist allenfalls rudimentär zu entnehmen, dass bei beiden der Vorgang zwischenzeitlich verlegt war) eine Einzelaufstellung über die geleisteten Sozialhilfeaufwendungen übersandt hatte, reagierte der Beklagte vorerst auch auf Erinnerungen nicht. Am 31. Oktober 2005 wurde die Klägerin um erneute Übersendung der anspruchsbegründenden Unterlagen gebeten und gleichzeitig auf die Einrede der Verjährung bis zum 26. November 2006 verzicht...

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