Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen B. Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson. paranoide Schizophrenie. unüberwindbare Angst vor Menschen. Angewiesenheit auf fremde Hilfe aus psychischen Gründen. Diskriminierungsverbot nach Art 3 Abs 3 S 2 GG und Art 5 Abs 2 UNBehRÜbk
Leitsatz (amtlich)
1. Die grundsätzliche Überlegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl BSG vom 11.8.2015 - B 9 SB 1/14 R = SozR 4-3250 § 69 Nr 21, RdNr 21), der umfassende Behindertenbegriff im Sinne des § 2 Abs 1 S 1 SGB IX gebiete die Einbeziehung aller körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen, betrifft die Frage der Berechtigung des Merkzeichens B in gleicher Weise wie diejenige der Feststellung des Merkzeichens G.
2. Benötigt also ein behinderter Mensch infolge einer psychotischen Störung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel eine Begleitperson und ist anderenfalls aufgrund unüberwindbarer psychischer Beeinträchtigungen nicht zur Nutzung dieser Verkehrsmittel in der Lage, so ist diese Person mit den in den Regelfällen genannten Personen gleich zu behandeln.
Orientierungssatz
Nicht entscheidend ist insoweit, ob eine anhaltende Orientierungsstörung oder eine wesentliche Bewegungseinschränkung die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung erforderlich machen.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Beklagte wendet sich gegen die erstinstanzlich aus Gründen einer psychischen Erkrankung erfolgte Verurteilung, zugunsten der Klägerin, bei welcher der GdB mit 80 sowie das Merkzeichen G festgestellt sind, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen B festzustellen.
Die 1980 geborene Klägerin leidet an den Folgen eines im Alter von 6 Jahren erlittenen Hirninfarkts, der insbesondere zu einer rechtsseitigen Halbseitenlähmung geführt hatte; insoweit bestehen nach zwischenzeitlicher guter Rückbildung mittlerweile wieder erhebliche motorische Beschwerden insb. wegen einschießender Spastik im rechten Fuß. In der Folge traten darüber hinaus Epilepsie - die mindestens seit 2005 wieder medikamentös behandelt wird - sowie eine paranoid-halluzinatorische Psychose, wohl in Folge erheblichen Cannabiskonsums, auf. Wegen der Einzelheiten des Vorfalls aus April 1987 und der langwierigen nachfolgenden medizinischen Behandlung wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten verwiesen. Der Grad der Behinderung (GdB) der Klägerin wurde gemäß Bescheid vom 14. Dezember 1993 mit 30 festgestellt. Einzelheiten der psychischen Erkrankung der Klägerin ergeben sich insbesondere aus den Berichten der Karl-Jaspers-Klinik Bad Zwischenahn vom 5. November 2007 und ergänzend vom 11. Juli 2012, wo sich die Klägerin von August bis Oktober 2007 in stationärer Behandlung befand; zu dieser Zeit litt die Klägerin u. a. auch unter erheblichen Verfolgungsängsten und berichtete von einem Selbstmordversuch. Diese Erkrankung führte aufgrund eines Neufeststellungantrags zur Feststellung der Schwerbehinderung der Klägerin mit einem GdB von 60 gemäß Bescheid vom 4. Februar 2008. Die psychische Behinderung wurde nunmehr als führend mit einem Einzel-GdB von 50 angesehen, hinsichtlich der Restbeschwerden der rechten Körperseite nach Hirninfarkt verblieb es bei einem Einzel-GdB von 30. Nach weiterem Hinzutreten eines cerebralen Anfallsleidens, das der Ärztliche Dienst des Beklagten mit einem Einzel-GdB von 40 bewertete, wurde der GdB der Klägerin gemäß Bescheid vom 23. August 2010 mit 70 neu festgestellt. Eine Einschränkung der Alltagskompetenz wurde in einem Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 9. November 2010 verneint.
Die Klägerin hatte am 7. Oktober 2010 die Merkzeichen H und B beantragt, nach deren Ablehnung sie sich in ihrer Widerspruchsbegründung vom 31. Januar 2011 insbesondere auf die motorischen Ausfälle aufgrund ihrer rechtsseitigen Lähmung und auf die Sturzgefahr aufgrund der bestehenden Epilepsie berief. Zudem halte sie auch die Feststellung des Merkzeichens G für angemessen. Die Anträge auf Feststellung dieser Merkzeichen blieben erfolglos. Am 7. Dezember 2011 wurde für die Klägerin ihre aktuelle Betreuerin bestellt. Ferner wurde der Klägerin gemäß Rentenbescheid vom 5. Oktober 2011 eine Dauerrente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt. Die Betreuerin stellte für die Klägerin einen Neufeststellungsantrag, der gemäß Bescheid vom 20. November 2012 gleichfalls erfolglos blieb. Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren wurde indes aufgrund der Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen gemäß Teilabhilfebescheid vom 3. April 2013 der GdB auf 80 erhöht, die Restbeschwerden der rechten Körperseite nach Hirninfarkt in Verbindung mit einer zunehmenden Gangstörung wurden nun gleichfalls mit einem Einzel-GdB von 50 bewertetet, das cerebrale Anfallsleiden mit einem Einzel-GdB von 40. Zugleich wurde bei langsamem, hinkende...