Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenhilfeanspruch. ärztliches Beschäftigungsverbot nach MuSchG. keine Arbeitsunfähigkeit. fingierte Verfügbarkeit. Gesetzeslücke. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
Besteht bei einer arbeitslosen Schwangeren trotz Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MuSchG keine Arbeitsunfähigkeit, ist die für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw Arbeitslosenhilfe (bis 31.12.2004) erforderliche Verfügbarkeit zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Lücke nach Art 6 Abs 4 GG im Wege der verfassungskonformen Auslegung zu fingieren (Anschluss an LSG Darmstadt vom 20.8.2007 - L 9 AL 35/04 = Streit 2008, 182; LSG Stuttgart vom 22.6.2010 - L 13 AL 4524/09, Revision anhängig beim BSG - B 7 AL 26/10 R).
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 14. September 2007 und der Bescheid vom 25. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2004 und des angenommenen Teilanerkenntnisses vom 25. Oktober 2010 insoweit aufgehoben, als dass die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 7. September 2004 bis zum Beginn des Beschäftigungsverbots gemäß § 3 Abs. 2 MuSchG aufgehoben worden ist.
Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten aus beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) wegen eines Beschäftigungsverbots gemäß § 3 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) streitig, zuletzt nur noch für die Zeit ab 7. September 2004.
Die 1980 geborene Klägerin bezog vom 19. September 2002 bis 17. Juli 2003 sowie vom 20. Februar bis 17. April 2004 (insgesamt 360 Tage) Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von zuletzt 71,47 € wöchentlich (Bemessungsentgelt von 135,-- € wöchentlich). Wegen der Erziehung und Betreuung ihrer im September 2000 geborenen Tochter stellte sie sich mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Im Anschluss an die Gewährung des Alg bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 31. März 2004 Alhi für den Bewilligungsabschnitt vom 18. April bis 31. Dezember 2004. Ab 18. August 2004 bescheinigte die Ärztin I. der Klägerin, dass nach § 3 Abs. 1 MuSchG ein Beschäftigungsverbot besteht. Nach den Angaben der Klägerin wurde das Beschäftigungsverbot zur Vermeidung einer Fehlgeburt angeordnet, weil während der Schwangerschaft - wie auch bei der ersten Schwangerschaft - Blutungen eingesetzt hätten. Daraufhin hob die Beklagte die Bewilligung von Alhi ab 18. August 2004 auf (Bescheid vom 25. August 2004). Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Klägerin nicht mehr arbeitslos sei, da sie wegen ihres Beschäftigungsverbotes nicht mehr arbeiten dürfe und daher dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stünde. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass sie auch während der Schutzfrist des § 3 Abs. 1 MuSchG der Arbeitsvermittlung wie ein Arbeitsunfähiger zur Verfügung stünde. Es handele sich gewissermaßen um eine Kombination aus Arbeitsunfähigkeit und Mutterschutz.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2004 als unbegründet zurück. Es handele sich bei dem der Klägerin ärztlich bescheinigten Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs. 1 MuSchG um ein gesetzliches (absolutes) Beschäftigungsverbot, das zum Wegfall der wesentlichen Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit führe. Da ein Fall von § 3 Abs. 2 MuSchG nicht vorliege, seien Ausnahmen (z.B. bei Erklärung der Bereitschaft, eine Arbeit aufzunehmen) nicht zulässig.
Dagegen hat die Klägerin am 5. November 2004 vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg Klage erhoben. Die Klägerin hat auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren verwiesen.
Die Klägerin hat am 9. Februar 2005 ihre Tochter J. zur Welt gebracht.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14. September 2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es die Ausführungen der Beklagten gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand seiner eigenen Entscheidung gemacht. Es hat zudem ausgeführt, dass es wegen des in § 3 Abs. 1 MuSchG festgelegten absoluten Beschäftigungsverbots an der Anspruchsvoraussetzung fehle, wonach der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen müsse. Ein Verzicht auf dieses Beschäftigungsverbot sei nicht möglich, was sich der gesetzlichen Regelung entnehmen ließe, da in Abs. 2 der genannten Vorschrift eine entsprechende Verzichtsmöglichkeit ausdrücklich geregelt sei. Hieraus ergäbe sich im Umkehrschluss, dass diese Möglichkeit in Fällen des Absatzes 1 nicht bestehen solle.
Gegen das ihr am 21. September 2007 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 22. Oktober 2007 beim Landessozialgericht (LSG) eingegangenen Berufung. Sie stützt sich im Wesentlichen auf ihr Vorbringen im Klageverfahren. Ergänzend trägt die Klägerin vor, das SG verkenne, dass im Falle einer Erkrankung des Arbeitslosen gemäß § 1...