Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Gewährung eines Wohngruppenzuschlags. Anforderungen an eine "gemeinsame Wohnung" iSd § 38a SGB 11

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen des Begriffs der gemeinsamen Wohnung im Sinne des § 38a Abs 1 Nr 1 SGB XI.

 

Normenkette

SGB XI § 38a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 75 Abs. 1; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 10.09.2020; Aktenzeichen B 3 P 1/20 R)

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI).

Der Kläger wurde am ... geboren und bezog seit dem 1. Januar 2015 Leistungen der Beklagten. Er war zunächst in einer Einrichtung der Behindertenhilfe untergebracht. Seit 1. Februar 2016 bezog er Leistungen wegen eingeschränkter Alltagskompetenz. Bei ihm sind ein GdB von 100 sowie die Merkzeichen G und H anerkannt. Vom 1. Oktober 2015 bis 30. September 2018 bewohnte er ein Apartment in der Wohnanlage „Seniorenwohlfühlzentrum T. & K." (im Folgenden: Seniorenzentrum) in A.

Die Anlage besteht aus elf Apartments, die sich auf insgesamt zwei Etagen erstrecken. Jedes Apartment hat eine Größe von ca. 46 qm und besteht aus einem Wohnraum, einem Schlafraum, einem Badezimmer und einer Küchenzeile mit Ceranfeld, Backofen und Spüle im Wohnzimmer. Jedes Apartment besitzt eine eigene Klingel und einen eigenen Briefkasten; die im Erdgeschoss befindlichen Apartments sind zur Außenseite des Hauses mit einer Türklinke versehen. Im Erdgeschoss der Wohnanlage befindet sich ein großzügiger Gemeinschaftsraum mit einem Esstisch für alle Bewohner des Wohnkomplexes sowie mit einer großen vollausgestatteten Gemeinschaftsküche. In diesem Raum gibt es außerdem eine Sitz- und eine Leseecke. Außerdem gehört zu diesem Gemeinschaftsbereich ein weiteres Badezimmer. Der Betreiber der Einrichtung und der Betreuer des Klägers haben am 25. August 2015 zwei verschiedene Verträge abgeschlossen, ein Vertrag hat nur die Anmietung des Apartments ab 1. Oktober 2015 zum Inhalt, der andere auch die Gewährung von Betreuungsleistungen. Die Verträge weisen eine Miete für den Wohnbereich i. H. v. 285 €, eine Betriebskostenvorauszahlung von 78 € und eine Nutzungsentgeltvorauszahlung für die Gemeinschaftseinrichtungen von 127 € aus. Das Seniorenzentrum stellt außerdem ein „Grundservice-Paket“ mit allgemeinen Betreuungsleistungen und sozialen, verwaltenden und organisatorischen Leistungen für 348,30 € monatlich zur Verfügung. Aus einer am 8. August 2016 unterzeichneten Erklärung der Bewohnerinnen und Bewohner geht hervor, dass diese die Betreuungsleistungen von Frau A. G., A., für ein weiteres Jahr in Anspruch nehmen wollen.

Der Betreuer des Klägers beantragte am 19. Oktober 2015 bei der Beklagten die Gewährung eines Wohngruppenzuschlages. Mit Bescheid vom 2. Februar 2016 lehnte die Beklagte dies ab, weil der Kläger in einer eigenen kleinen Wohnung mit separatem Sanitärbereich sowie zwei Zimmern wohne. Die Voraussetzung des § 38a SGB XI, dass es sich um eine Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung handeln müsse, sei nicht erfüllt. Am 15. Februar 2016 erhob der Kläger Widerspruch und führte zur Begründung an, schon aus hygienischen Gründen müsse jeder Bewohner über eine eigene Nasszelle sowie eine eigene Küchenzeile verfügen, um eine etwaige Keimübertragung zu vermeiden. Außerdem benötigten Pflegebedürftige im Badezimmer sehr viel Zeit, sodass anderen Mitbewohnern nicht zuzumuten sei, darauf zu warten. Der Gesetzgeber fordere lediglich ein Gemeinschaftsbad, eine Gemeinschaftsküche und ein Gemeinschaftswohnzimmer, all dies sei im Seniorenzentrum jedoch vorhanden und schließe nicht aus, dass jedem Bewohner zusätzlich noch eine Nasszelle und eine Küchenzeile zur Verfügung stehe. Das Herzstück der Wohngruppe bildeten dagegen die Gemeinschaftsräume: die Wohnküche und das geräumige Wohnzimmer seien die Orte der Begegnung der Bewohner. Die Wirtschaftsräume und die Gemeinschaftsbäder stünden allen offen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Aus dem von ihm eingereichten Mietvertrag folge, dass er ein eigenständiges Apartment mit eigenem Bad und eigener Küche bewohne und er lediglich gewisse Gemeinschaftsräume mitbenutzen dürfe. Es handele sich deshalb nicht um eine Wohngemeinschaft i. S. v. § 38a Abs. 1 Nr. 1 SGB XI.

Der Kläger hat am 24. Mai 2016 Klage zum Sozialgericht (SG) Aurich erhoben. Die Beklagte verkenne, dass die hier vollständig ausgestatteten Sanitärbereiche in den einzelnen Apartments lediglich eine Indizwirkung haben könnten. Für Wohngemeinschaften i. S. v. § 38a SGB XI werde darüber hinaus allgemein die Einrichtung von zwei bis drei Bädern und Toiletten im Gemeinschaftsbereich empfohlen. Die Möglichkeit, über eine eigene Nasszelle zu verfügen, verhindere insbesondere die Verbreitung ansteckender Erkrankungen. Die Herausforderung bei der baulichen Konzeption des ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge