Entscheidungsstichwort (Thema)

Sinn des in § 44 SGB 10 normierten Zugunstenverfahrens. Berücksichtigung von Vertrauensschutzgesichtspunkten iS des § 45 SGB 10 im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB 10. fehlerhafte Einkommensanrechnung bei einer Witwerrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wegen der nicht berücksichtigten, aber mitgeteilten Beendigung eines Studiums durch die Waise

 

Orientierungssatz

1. Es ist nicht Sinn des in § 44 SGB 10 normierten Zugunstenverfahrens, für die Vergangenheit oder für die Zukunft mehr zu gewähren, als dem Berechtigten nach materiellem Recht zusteht (vgl BSG vom 24.4.2014 - B 13 R 3/13 R = SozR 4-1300 § 44 Nr 30).

2. Unabhängig davon, ob ein Leistungsberechtigter mit einem rechtzeitigen Vortrag gegen einen Ausgangsbescheid unter Berücksichtigung von Vertrauensschutzgesichtspunkten - insbesondere iS des § 45 SGB 10 - durchgedrungen wäre, kann er nach Bestandskraft des Ausgangsbescheides mit diesem Vortrag im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB 10 nicht mehr gehört werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 03.02.2022; Aktenzeichen B 5 R 26/21 R)

BSG (Beschluss vom 05.01.2022; Aktenzeichen B 5 R 26/21 R)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 19. April 2018 aufgehoben.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Kosten sind nicht zu erstatten.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der beklagte Rentenversicherungsträger wendet sich mit seiner Berufung gegen die erstinstanzlich ausgesprochene Verpflichtung, einen bestandskräftig gewordenen Witwerrentenneuberechnungsbescheid vom 9. Januar 2015, mit dem der 1942 geborene Kläger zur Erstattung eines überzahlten Witwerrentenbetrages in Höhe von 4.452,33 € aufgefordert worden ist, im Hinblick auf einen Überprüfungsantrag des Klägers nach § 44 SGB X aufzuheben.

Die am 22. November 1949 geborene und am 27. Juli 1999 verstorbene Ehefrau des Klägers I. war bei der Beklagten versichert. Nach ihrem Tod gewährte die Beklagte der 1976 geborenen Tochter J. zunächst eine Halbwaisenrente im Hinblick auf den seinerzeit von ihr aufgenommenen Diplomstudiengang Sozialwissenschaften.

Des Weiteren gewährte die Beklagte dem seinerseits im Bezug von Sozialleistungen stehenden (vgl. Bescheinigung des Arbeitsamtes über den Bezug von Arbeitslosengeld, Bl. 91 VV, die Bescheinigungen der Krankenkasse über den Bezug von Krankengeld, Bl. 91, 103 VV, sowie die Mitteilung über die Bewilligung einer Rente aus eigener Versicherung des Klägers vom 6. Juni 2000, Bl. 104 VV) Kläger eine Witwerrente.

Mit Bescheid vom 11. August 2000 nahm die Beklagte eine Neuberechnung der dem Kläger zustehenden Witwerrente vor. Dabei ermittelte sie im Ausgangspunkt (bezogen auf den Zeitraum ab November 1999) eine Witwerrente in Höhe eines monatlichen Zahlbetrages von 992,39 DM (abzüglich der Beitragsanteile zur Kranken- und Pflegeversicherung), worauf jedoch ein monatlicher Betrag von 291,52 DM im Hinblick auf die eigenen Renteneinkünfte des Klägers anzurechnen waren, so dass im Ergebnis die Witwerrente nur hinsichtlich eines Teilbetrages von 700,87 DM (abzüglich der Beitragsanteile zur Kranken- und Pflegeversicherung) zur Auszahlung gelangte.

Diesen - sich auf 291,52 DM belaufenden - anzurechnenden Teilbetrag der eigenen Renteneinkünfte des Klägers hatte die Beklagte ausgehend von den gesetzlichen Vorgaben des § 97 SGB VI wie folgt ermittelt (vgl. Anlage 8 zu dem o.g. Bescheid, Bl. 119 f. GA):

Von den eigenen Renteneinkünften des Klägers in Höhe von 2.461,14 DM verblieben nach Abzug der Beitragsanteile zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 166,13 DM und 20,92 DM monatlich 2.274,09 DM. Davon waren entsprechend § 97 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ein Teilbetrag von 1.274,86 DM (entsprechend dem 26,4fachen des seinerzeitigen aktuellen Rentenwerts) anrechnungsfrei. Da nach § 97 Abs. 2 Satz 2 SGB VI des Weiteren sich das nicht anrechenbare Einkommen um das 5,6fache des aktuellen Rentenwerts (entsprechend seinerzeit 270,42 DM) für jedes Kind des Berechtigten, das Anspruch auf Waisenrente hat (oder nur deshalb nicht hat, weil es nicht ein Kind des Verstorbenen ist) erhöht und da die Tochter K. seinerzeit im Bezug einer Halbwaisenrente aufgrund des dargelegten Studiums stand, berücksichtigte die Beklagte einen weiteren anrechnungsfreien Teilbetrag von 270,42 DM. Nach Abzug dieser anrechnungsfreien Teilbeträge verblieb noch ein Restbetrag von 728,81 DM, von dem entsprechend § 97 Abs. 2 Satz 3 SGB VI ein Anteil von 40 %, entsprechend im vorliegenden Fall 291,52 DM, auf den Witwerrentenanspruch des Klägers anzurechnen war.

Mit Schreiben vom 28. März 2001 teilte die Tochter K. der Beklagten mit, dass sie ihr Studium zum Monatsende beenden werde. Sie habe das Studium aus persönlichen Gründen ohne Abschluss abgebrochen und übe nunmehr eine Erwerbstätigkeit aus.

Daraufhin stellte die Beklagte die Gewährung einer Halbwaisenrente an die Tochter mit Wirkung zum 1. April 2001 ein (vgl. Aufhebungsbescheid vom 17. August 2001, Bl. 146 VV).

Auf Seiten der Beklagten wurde...

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