Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflegeversicherung. Rechtmäßigkeit der Entziehung von Leistungen entsprechend der Pflegestufe 1. Kind. insulinpflichtige Zuckerkrankheit Typ 1. Verringerung des Hilfebedarfs. Verfassungsmäßigkeit der Begutachtungsrichtlinien

 

Orientierungssatz

1. Selbst für den Fall, dass die ursprüngliche Bewilligung einer Pflegeleistung rechtswidrig war, schließt dies die spätere Aufhebung der Leistung jedenfalls dann nicht aus, wenn sich der Hilfebedarf so deutlich reduziert hat, dass die Voraussetzungen dieser Pflegestufe eindeutig nicht mehr vorliegen (vgl BSG vom 7.7.2005 - B 3 P 8/04 R = BSGE 95, 97 = SozR 4-1300 § 48 Nr 6).

2. Die Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB 11 verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht, weil sie sich im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben halten.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 18.06.2014; Aktenzeichen B 3 P 5/14 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichtes Osnabrück vom 20. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Entziehung von Leistungen entsprechend der Pflegestufe I.

Die im Jahr 1999 geborene Klägerin leidet seit Oktober 2002 an einer insulinpflichtigen Zuckerkrankheit des Typ I. Aufgrund eines im Jahr 2006 geschlossenen Vergleichs (zum Verfahren S 14 P 1/04 Sozialgericht Osnabrück) zahlte die Beklagte der Klägerin ab 1. Juli 2004 Leistungen entsprechend der Pflegestufe I. Am 6. Mai 2009 erstattete der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) im Auftrag der Beklagten im Rahmen einer Wiederholungsbegutachtung das Gutachten über die Klägerin, worin der tägliche Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege auf acht Minuten eingeschätzt wurde. Zur Begründung wurde angeführt, die Klägerin habe gelernt, mit ihrer Krankheit umzugehen. Sie könne die Ganzkörperwäsche inzwischen eigenständig vornehmen und brauche auch keine Hilfe mehr beim Stuhlgang. Mit Schreiben vom 18. Mai 2009 hörte die Beklagte die Klägerin dazu an, ihr die Pflegeleistungen zu entziehen. Mit Bescheid vom 2. Juni 2009 hob sie die Bewilligung der Pflegeleistungen gemäß § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) mit Wirkung zum 1. Juli 2009 auf. Mit Widerspruch vom selben Tag führte die Klägerin an, sie benötige immer noch permanente Kontrolle ihrer Aktivitäten. Auch habe die Pflegeperson - ihre Mutter - bei der Begutachtung in Anwesenheit der Klägerin keine sie psychisch belastenden Angaben zur tatsächlichen Hilfe machen können. Sie fügte außerdem eine Aufstellung der Pflegezeiten bei. In einem weiteren Gutachten vom 21. September 2009 schätzte der MDK den täglichen Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege auf 14 Minuten ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. März 2010 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück und führte zur Erläuterung an, dass im Jahr 2004 die Voraussetzungen der Pflegestufe I vorgelegen hätten, der Hilfebedarf sei aber seitdem entscheidend zurückgegangen.

Mit ihrer am 21. April 2010 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie Folgendes angeführt: Die bei ihr vorliegende Diabetes erhöhe das Risiko von Pilzinfektionen im Bereich der Füße sowie von Vaginalmykosen etc. Dies erfordere eine besonders sorgfältige Teilwäsche des Unterkörpers. Der Hilfebedarf betrage hier zehn statt einer Minute. Bei der Wäsche von Händen und Gesicht sei festzustellen, dass bei ihr aufgrund der Diabetes eine besonders sorgfältige Wäsche und Pflege der Fingerkuppen wegen der Einstichstellen zwecks Blutzuckermessung vorgenommen werden müssten. Auch müsse sie aufgrund ihrer Erkrankung dreimal wöchentlich ein dreißigminütiges Bad nehmen, um Verhärtungen und Verkrustungen an den Einstichstellen aufzuweichen. Gesunde Kinder im gleichen Alter müssten hingegen nur dreimal in der Woche ca. zehn Minuten lang duschen. Der Pflegemehraufwand betrage daher wöchentlich 60 Minuten, täglich umgerechnet mithin 8,5 Minuten. Auch das Zähneputzen sei bei Diabetikern besonders wichtig, da sich viel Zucker im Blut befinde. Sie benötige Hilfe in Form von Kontrolle und Anleitung im Umfang von 5 Minuten täglich. Auch habe der MDK nicht berücksichtigt, dass zum Zubereiten der Mahlzeiten bei ihr auch das Berechnen, Zusammenstellen und Abwiegen der Mahlzeiten sowie die Insulininjektion gehöre. Dies habe das Sozialgericht (SG) Hamburg bereits im Jahr 1996 entschieden. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) in einer Entscheidung aus dem Jahr 1998 die gegenteilige Ansicht vertreten, damals sei es jedoch um eine 14-jährige Patientin gegangen, sie - die Klägerin - sei jedoch erst elf Jahre alt. Für die Überwachung, Anleitung und Aufforderungen während des Frühstücks seien 15 Minuten Hilfebedarf anzusetzen, für dieselben Hilfestellungen während des Mittagessens 20 Minuten und beim Abendessen nochmal 20 Minuten. Auß...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge