Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsprüfung. Beitragsnachforderung im Zusammenhang mit der Versicherungspflicht von Kükensortierern. Arbeitgebereigenschaft. Verfassungsmäßigkeit des § 24 SGB 4. Wirkung der Erklärung des Vertreters. Illegalität des Beschäftigungsverhältnisses. Vorsatz. Anforderungen an Beweisantrag im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unter Arbeitgeber im sozialrechtlichen Sinne ist die Person zu verstehen, der der Anspruch auf die Arbeitsleistung zusteht, die den Lohn schuldet und der der wirtschaftliche Ertrag der Arbeitsleistung zukommt.

2. Die gesetzlichen Vorgaben über die Erhebung von Säumniszuschlägen in § 24 SGB IV begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Orientierungssatz

1. Wer im Geschäftsverkehr seine Erklärungen nicht gegen sich persönlich gelten lassen will, hat als Erklärender zu beweisen, dass er entweder ausdrücklich im Namen eines Dritten gehandelt hat oder sein Vertreterwille erkennbar aus den Umständen zu entnehmen war (vgl zB BGH vom 27.1.1975 - III ZR 117/72 = NJW 1975, 775).

2. Eine "Illegalität" des Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des seit dem 1.8.2002 geltenden § 14 Abs 2 S 2 SGB 4 liegt nicht bereits dann vor, wenn die Nichtzahlung von Steuern und Beiträgen zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung (allein) aus Anlass ("bei") einer objektiven Verletzung dieser Zahlungspflichten und mit ihnen einhergehender, hierauf bezogener Pflichten erfolgt, also darauf beruht. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Pflichtverstöße von einem subjektiven Element in der Form eines (mindestens bedingten) Vorsatzes getragen sind (vgl BSG vom 9.11.2011 - B 12 R 18/09 R = BSGE 109, 254 = SozR 4-2400 § 14 Nr 13).

3. Beweisanträge, die so unbestimmt bzw unsubstantiiert sind, dass im Grunde erst die Beweisaufnahme selbst die entscheidungs- und damit beweiserheblichen Tatsachen aufdecken soll bzw die allein den Zweck haben, dem Beweisführer, der nicht genügend Anhaltspunkte für seine Behauptungen angibt, erst die Grundlage für substantiierte Tatsachenbehauptungen zu verschaffen, brauchen dem Gericht eine Beweisaufnahme nicht nahezulegen; sie sind als sog Beweisausforschungs- bzw -ermittlungsanträge auch im vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig (vgl BSG vom 19.10.2011 - B 13 R 33/11 R = NZS 2012, 230).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 01.04.2019; Aktenzeichen B 12 R 21/18 B)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der nicht erstattungsfähigen Kosten der Beigeladenen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der am 2. Februar 1939 geborene Kläger B. wendet sich gegen die Heranziehung zu Sozialversicherungsbeiträgen in einer Gesamthöhe von 261.115,06 € (einschließlich 56.158,26 € Säumniszuschläge), die die Beklagte im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV für den Prüfzeitraum 2001 bis 2005 festgesetzt hat.

Der Kläger ist gelernter Kükensortierer. Nach Aktenlage hat er in den 50er Jahren eine Ausbildung bei der japanischen Gesellschaft “Q.„ (R., Abkürzung des Namens in japanischer Sprache - jedenfalls nach Angaben des Klägers, Bl. 63 GA, und des Beigeladenen zu 3., Bl. 326 VV -: KSKK) durchlaufen.

Seit Ende der 60er Jahre geht der Kläger seiner Tätigkeit im Bundesgebiet nach. In diesem Rahmen erfolgte 1967 die Anmeldung eines Gewerbes als selbständiger Kükensortierer bei der Gemeinde St. S. (heute Gemeinde T.).

Seinerzeit wurden schwerpunktmäßig aus Japan stammende Sortierer für die Tätigkeit eingesetzt, wohingegen in späteren Jahren auch chinesische und koreanische Staatsbürger herangezogen wurden. Im Dezember 1971 wandte sich der Steuerberater des Klägers an die Finanzverwaltung zur Abklärung insbesondere auch der steuerrechtlichen Einordnung einer Tätigkeit von japanischen Kükensortierern im Bundesgebiet.

In diesem Schreiben wurde insbesondere ausgeführt: “Zur Sozialversicherung ist zu sagen, dass wegen der kurzen ein- bis zweijährigen Aufenthaltsdauer jeder einzelne Kükensortierer in Japan die japanische Staatsversicherung weiterbezahlt. Wenn man sein ganzes Leben in Deutschland verbringen sollte, wäre es etwas anderes. Die Kükensortierer sind nur für einen kurzen Aufenthalt hier. Deshalb ist es ungerechtfertigt, die Sozialversicherung dem deutschen Staat zu zahlen.„

Mit der Finanzverwaltung erzielte der Kläger im Ausgangspunkt eine Übereinkunft, wonach von seiner Seite für die Tätigkeit der Kükensortierer ein nach der Höhe der ihnen tatsächlich ausgezahlten Entgelte bemessener Pauschsatz zur Abgeltung der (Lohn-)Steuerpflichten zu zahlen war. Dieser belief sich bis 1991 auf 30 %, in den Jahren 1992 bis 1994 auf 36 % und in der Folgezeit auf 37 %. Tatsächlich abgeführt wurden entsprechende Steuerzahlungen jedoch jedenfalls nicht beständig.

Am 15. Februar 2006 durchsuchten Beamte des Hauptzollamtes die Wohn- und Geschäftsräume des Klägers. Schriftverkehr zwischen dem Kläger und der R. konnte bei der Durchsuchung nicht aufgefunden werden.

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