Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches G. Nichtberücksichtigung psychischer Erkrankungen
Orientierungssatz
1. Bei den in VersMedV Einzelanlage Teil D Nr 1 Buchst d bezeichneten für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "G" - erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr - Berechtigten handelt es sich nicht um eine abschließende Aufzählung des anspruchsberechtigten Personenkreises, sondern lediglich um Regelbeispiele, die für andere Behinderte als Vergleichsmaßstab dienen.
2. Aus ihnen ergibt sich, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein Behinderter infolge einer Einschränkung des Gehvermögens in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr als erheblich beeinträchtigt gilt.
3. Hierbei ist eine Berücksichtigung psychischer Erkrankungen ausgeschlossen. In einem solchen Fall ist die Bewegungsfähigkeit nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, sondern aus anderen Gründen beeinträchtigt.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 26. Juli 2007 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Die im Jahre 1970 geborene Klägerin ist seit 1999 bei der Volkswagen AG (VW) beschäftigt. Nachdem sie dort zunächst am Montageband (Akkord) sowie ab 2003 an einem Einzelarbeitsplatz ohne taktgebundene Arbeit eingesetzt war, führt sie seit Oktober 2006 Tätigkeiten im Büro am PC aus. Am 16. September 2004 beantragte sie erstmals die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) sowie die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" wegen ihrer generalisierten Angststörung, Panikattacken, Gleichgewichtsstörungen sowie Geh- und Stehproblemen. Der Beklagte holte Befundberichte von der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie I. sowie dem Facharzt für Innere Medizin Dr. J. ein. Anschließend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 16. Dezember 2004 mit Wirkung ab 16. September 2004 einen GdB von 40 fest. Die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises sowie die Feststellung von Merkzeichen wurden abgelehnt, weil der GdB unter 50 liege. Die Entscheidung beruhte auf der Funktionseinschränkung "Psychische Erkrankung".
Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass sie aufgrund ihrer Angsterkrankung beim Überqueren der Straße und öffentlichen Plätzen der ständigen Hilfe bedürfe. Ständiges Schwitzen, Kopfschmerzen, Schwindel, Herzrasen, Übelkeit mit Erbrechen, Humpeln und Gestikulieren mit den Armen seien beim Überqueren der Straße ihre ständigen Begleiter. Ohne die Hilfe ihrer Eltern könne sie gar nicht mehr gehen. Sie werde daher regelmäßig über die Straße begleitet, damit sie sicher zum VW-Werksbus bzw. auf dem Rückweg nach Hause gelange.
Auf der Grundlage einer Stellungnahme des Sozialpsychiatrischen Dienstes vom 17. Januar 2005 sowie eines weiteren Befundberichtes der Dipl.-Psych. K. von Anfang März 2005 erließ der Beklagte am 24. Mai 2005 einen Teilabhilfebescheid, mit dem er mit Wirkung ab 16. September 2004 einen GdB von 50 (Schwerbehinderung) feststellte. Der weitergehende Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2005 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des beantragten Merkzeichens "G" nicht vorlägen, weil die Klägerin nach versorgungsärztlicher Beurteilung durchaus in der Lage sei, ortsübliche Wegstrecken zu Fuß zurückzulegen.
Dagegen hat die Klägerin am 26. Juli 2005 vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig Klage erhoben. Sie hat sich nur noch gegen die Ablehnung des Merkzeichens "G" gewendet und vorgetragen, dass sie aufgrund ihrer psychischen Erkrankung, insbesondere der mittelgradigen sozialen Anpassungsstörung nicht mehr in der Lage sei, innerhalb von 30 Minuten eine Wegstrecke von 2000 m zurückzulegen. Die Panikattacken und die damit verbundenen körperlichen Begleiterscheinungen wie Kraftlosigkeit in den Beinen und Zittern würden jeden Tag auch im betrieblichen Bereich auftreten.
Das SG hat Befundberichte bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie I. sowie von der Psychotherapeutin K. eingeholt. Es hat Beweis erhoben durch Anhörung des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. (vgl. Gutachten vom 22. Februar 2007). Das SG hat mit Urteil vom 26. Juli 2007 den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, bei der Klägerin den Nachteilsausgleich "erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" festzustellen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" erfüllt seien. Denn die Angstanfälle u...