Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Bestimmtheit von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Teilaufhebung. Konkretisierung von Zeitraum und Höhe

 

Leitsatz (amtlich)

Das Bestimmtheitsgebot des § 33 Abs 1 SGB 10 verlangt auch im Grundsicherungsrecht, dass der teilweise für einen Gesamtzeitraum aufhebende Bescheid konkretisiert, für welche Zeitabschnitte in welcher Höhe aufgehoben beziehungsweise zurückgenommen wird (Anschluss an BSG vom 15.08.2002 - B 7 AL 66/01 R = SozR 3-1500 § 128 Nr 15 und vom 2.6.2004 - B 7 AL 58/03 R = BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1). Weder der Normtext von § 33 SGB 10 noch die Strukturen des Grundsicherungsrechts gebieten hier eine differenzierende Auslegung. Daraus folgt, dass der aufhebende beziehungsweise zurücknehmende Bescheid monatsgenau dartun muss, in welcher Höhe aufgehoben wird (vgl BSG vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R = BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2).

 

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 23. September 2009 wird zurückgewiesen.

Das beklagte Jobcenter hat den Klägerinnen ihre außergerichtlichen Kosten auch für die Berufungsinstanz zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung und Rückforderung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Die 1969 geborene Klägerin zu 1. und ihre 1998 geborene Tochter, die Klägerin zu 2., stehen seit 2005 im laufenden Bezug von Grundsicherungsleistungen. Die Leistungsgewährung war so geregelt, dass die Bundesagentur für Arbeit (BA) für die Gewährung von Regelleistungen und Mehrbedarfszuschlägen zuständig war, während der Landkreis K. für die Gewährung von Kosten der Unterkunft zuständig war. Die Klägerinnen bewohnten ein im Eigentum der Klägerin zu 1. stehendes Haus, in dem dinglich Wohnrechte für die Mutter der Klägerin zu 1. und Herrn L. M. N. gesichert waren.

Die Klägerin zu 1. gab beginnend mit der Erstantragsstellung und in allen weiteren Fortzahlungsanträgen (vom 2. Mai und 9. November 2005, vom 9. Juni und 30. Oktober 2006 und vom 12. April 2007) an, sie verfüge neben dem für die Klägerin zu 2. gewährten Kindergeld über kein weiteres Einkommen. Die BA gewährte den Klägerinnen Leistungen in Gestalt von Regelleistungen sowie den Mehrbedarfszuschlag für Alleinerziehende unter Anrechnung des Kindergeldes der Klägerin zu 2.

Am 22. August 2007 wurde die zweite Tochter O. der Klägerin zu 1. geboren. In einem Telefongespräch am 18. Oktober 2007 teilte die Klägerin zu 1. zunächst mit, sie bekomme manchmal Geld für Windeln. Sie wolle anlässlich der Geburt ihrer zweiten Tochter keinen Unterhaltsvorschuss beantragen. In einem weiteren Telefonat vom 25. Oktober 2007 erklärte die Klägerin zu 1. ausweislich eines im Verwaltungsvorgang befindlichen Vermerks, der Vater ihrer Töchter zahle monatlich ca. 200 € in bar oder in materiellen Dingen als Unterhalt. Sie werde eine Bestätigung einreichen und wolle keine Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz beantragen. Ebenfalls am 25. Oktober 2007 reichte die Klägerin zu 1. einen weiteren Fortzahlungsantrag ein. In einem diesem beigefügten Zusatzblatt wies sie auf eine außergerichtliche Unterhaltsvereinbarung mit dem Vater ihrer Töchter hin, wonach dieser 250 € im Monat als Unterhalt zahle. Weiter war dem Fortzahlungsantrag eine handschriftliche Erklärung des Vaters der Töchter der Klägerin zu 1. beigefügt, worin dieser bekundete, er zahle monatlich 250 € als Unterhalt. Dieser Erklärung war eine handschriftliche Bemerkung der Klägerin zu 1. beigefügt, wonach die Unterhaltszahlungen in bar erfolgten. Der Vater der Klägerin zu 2. und der weiteren Tochter der Klägerin zu 1. erklärte unter dem 10. November 2007 ergänzend, er zahle für die Klägerin zu 2. seit dem 1. Januar 2005 und für seine weitere Tochter seit dem 1. September 2007. Die Klägerin zu 1. erklärte gegenüber der BA, sie erhalte weiter 250 €, die auf die Kinder aufzuteilen seien.

Die BA hörte die Klägerin zu 1. mit Schreiben vom 15. November 2007 im Hinblick auf die möglicherweise überzahlten Leistungen an. Hierauf bekundete die Klägerin zu 1. mit Schreiben vom 27. November 2007, in Wirklichkeit seien nie Unterhaltsleistungen geflossen. Der Vater der Kinder habe Angst davor gehabt, belangt zu werden und daher falsche Angaben gemacht. Die BA wertete dies als Schutzbehauptung und erließ den hier streitgegenständlichen Bescheid vom 7. Dezember 2007. Darin führte sie zunächst aus, die Entscheidungen vom 5. Januar, 10. Mai und 14. November 2005, vom 12. Juni und 7. November 2006 sowie vom 19. April und vom 15. Oktober 2007 über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II würden vom 1. Januar 2005 bis zum 30. November 2007 für die Klägerin zu 1. und die Klägerin zu 2. teilweise in Höhe von 6.996,33 € zurückgenommen. Dann führte sie weiter aus, von den Rückforderungen seien Leistungen für die Klägerin zu 1. in Höhe von 5.137,33 € umfasst. Für die ...

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