Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstreckung der Korrekturmöglichkeit nach § 44 SGB 10 auf Zinsansprüche nach Maßgabe des § 44 SGB 1. vollständiger Leistungsantrag iS des § 44 Abs 2 SGB 1
Leitsatz (amtlich)
Die mit der Regelung des § 44 SGB 10 vom Gesetzgeber angestrebte Durchbrechung der Bestandskraft vorausgegangener ablehnender Bescheide erstreckt sich in dem durch § 44 Abs 4 SGB 10 eröffneten zeitlichen Rahmen auch auf Zinsansprüche nach Maßgabe des § 44 SGB 1.
Orientierungssatz
Unter dem vollständigen Leistungsantrag iS des § 44 Abs 2 SGB 1 ist der Antrag zu verstehen, mit dem der Sachverhalt vollständig dargelegt wird, um die im Gesetz bestimmten Voraussetzungen für einen Anspruch auf Sozialleistungen überprüfen und sein Entstehen feststellen zu können. Das kann ein Antrag im Zugunstenverfahren allenfalls dann sein, wenn erst durch ihn die Leistungsvoraussetzungen vervollständigt worden sind (vgl BSG vom 17.11.1981 - 9 RV 26/81 = SozR 1200 § 44 Nr 4).
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 3. September 2013 wird geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2010 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, die dem Kläger mit Bescheid vom 31. August 2010 für die Monate Januar 2006 bis September 2010 zuerkannten Rentennachzahlungsbeträge in Anwendung des § 44 SGB I bis August 2010 zu verzinsen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich in der Sache gegen die fehlende Verzinsung einer Nachzahlung und begehrt außerdem die Feststellung, dass ein gegen einen seinem Rentenneuberechnungsantrag entsprechenden Bescheid der Beklagten gerichteter erster Widerspruch zulässig war.
Der im Juni 1934 geborene Kläger beantragte im Februar 1999 die Gewährung einer Regelaltersrente. Die Beklagte bewilligte ihm mit Rentenbescheid vom 26. Juli 1999 für die Zeit ab 1. Juli 1999 Rentenzahlungen in Höhe von 420,61 € monatlich.
Einen ersten Überprüfungsantrag stellte der Kläger am 18. Dezember 2009 im Hinblick auf die Bewertung des Januar 1980. Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 11. Februar 2010 ab. Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger eine Bescheinigung der AOK aus dem Jahre 1980 betreffend die streitige Zeit vor. Die Beklagte gab dem Widerspruch mit Bescheid vom 22. April 2010 statt und führte dies mit Bescheid vom 27. April 2010 aus. Es ergab sich eine Nachzahlung für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2010 in Höhe von 48,03 €. Mit dem anschließenden Widerspruch vom 3. Mai 2010 machte der Kläger geltend, die Nachzahlung sei gemäß § 44 SGB I zu verzinsen. Die Beklagte errechnete mit Bescheid vom 25. Mai 2010 eine Verzinsung ab Januar 2005 in Höhe von 5,17 €.
Bereits am 19. Mai 2010 stellte der Kläger einen zweiten Überprüfungsantrag. Er habe anlässlich eines Besuchs in H. eine Entgeltbescheinigung des Arbeitsamtes I. vom 13. Dezember 1994 aufgefunden. Für die Zeit vom 17. Mai 1994 bis 7. Dezember 1994 werde ein höheres Entgelt bescheinigt, als im Rentenbescheid ausgewiesen. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 31. August 2010 eine Nachzahlung für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis 30. September 2010 in Höhe von 33,33 €. Mit dem am 7. September 2010 eingegangenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die Nachzahlung müsse verzinst werden. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 11. Oktober 2010 die Verzinsung ab, da ein vollständiger Antrag im Sinne des § 44 SGB I erst am 19. Mai 2010 vorgelegen habe und mit Bescheid vom 31. August 2010, mithin innerhalb der Frist von sechs Kalendermonaten, die Leistung bewilligt und anschließend gezahlt worden sei. Sie wies darauf hin, der Bescheid sei gem. § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden.
Mit dem am 18. Oktober 2010 eingegangenen Widerspruch machte der Kläger geltend, ein vollständiger Leistungsantrag habe bereits bei Bescheiderteilung im Juli 1999 vorgelegen. Außerdem sei der Bescheid vom 11. Oktober 2010 nicht gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden, denn er ändere den Rentenbescheid vom 31. August 2010 nicht ab. Mit dem ersten Widerspruch habe er den Bescheid vom 31. August 2010 angegriffen, weil die Beklagte vergessen habe, die Nachzahlung zu verzinsen; mit dem zweiten Widerspruch werde die Ablehnung der Verzinsung gerügt.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 2010 beide Widersprüche zurück. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 31. August 2010 sei unzulässig, da dieser Bescheid keine Beschwer enthalte. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. Oktober 2010 sei unbegründet, da kein Anspruch auf Verzinsung bestehe. 1999 habe der Kläger einen unvollständigen Antrag eingereicht, weil der Entgeltnachweis des Arbeitsamtes nicht vorgelegt worden sei. Aufgrund des neuen Beweismittels am 19. Mai 2010 sei bis zu diesem Zeitpunkt von einem unvollständigen Antrag auszugehen.
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