Entscheidungsstichwort (Thema)
Rehabilitation und Teilhabe. Zuständigkeitsklärung. Erstattungsanspruch des zweitangegangenen Rehabilitationsträgers gegen den erstangegangenen Rehabilitationsträger. innerdienstlicher Weitergabe eines Leistungsantrags innerhalb einer Kommune von einem Fachbereich an den anderen. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Jugendhilfeträgers (Stadt Göttingen) gegenüber dem Sozialhilfeträger. Eingliederungshilfe. Frühförderung von Kindern. Wahrnehmungszuständigkeit der Stadt Göttingen aufgrund einer Heranziehung durch den überörtlichen Sozialhilfeträger
Leitsatz (amtlich)
1. Die "innerdienstliche Weitergabe" eines Leistungsantrags innerhalb einer Kommune (vom Fachbereich Soziales an den Fachbereich Jugend) stellt keine Weiterleitung im Sinne des § 14 SGB IX dar. Eine Kommune tritt gegenüber dem Antragsteller als ein einziger Rechtsträger und damit als rechtliche Einheit auf und hat den bei ihr eingegangenen Leistungsantrag unter allen Gesichtspunkten, für die sie sachlich und örtlich zuständig ist, zu prüfen (Anschluss an VG Oldenburg vom 16.4.2007 - 13 B 152/07 = JAmt 2007, 262 = juris RdNr 15).
2. Maßnahmen der Frühförderung für Kinder sind unabhängig von der Art der Behinderung vorrangig Leistungen nach dem SGB XII und nicht nach dem SGB VIII. Dabei ist es unerheblich, ob diese ambulant, in Förderzentren, in teilstationären oder stationären Einrichtungen erbracht werden.
3. Im Fall bestehender Mehrfachbehinderungen ist nicht auf den Schwerpunkt der Behinderungen, sondern auf die Art der miteinander konkurrierenden Leistungen abzustellen (vgl BVerwG vom 23.9.1999 - 5 C 26/98 = BVerwGE 109, 325 = Buchholz 436.511 § 41 KJHG/SGB VIII Nr 1). Leistungen nach §§ 53 ff SGB XII sind auch dann vorrangig, wenn die Leistungen zumindest auch auf den Hilfebedarf wegen geistiger/körperlicher Behinderung eingehen.
4. Erbringt eine herangezogene kommunale Körperschaft die Leistungen in eigenem Namen, wird sie für die Leistungsgewährung anstelle des überörtlichen Trägers zuständig, sie hat damit eine sog Wahrnehmungszuständigkeit (vgl BSG vom 13.2.2014 - B 8 SO 11/12 R = SozR 4-3500 § 106 Nr 1). Dabei macht es keinen Unterschied, ob sie die ihr obliegenden Leistungen durch ihren Fachbereich Jugend oder ihren Fachbereich Soziales erbringt.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 12. März 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird endgültig auf 19.177,29 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Beklagte wendet sich gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Hildesheim vom 12. März 2012, mit dem er verurteilt wurde, der Klägerin 19.177,29 € für die Betreuung des Kindes D. E. (im Folgenden D.) in der integrativen Gruppe des katholischen Kindergarten F., G. in Göttingen (im folgenden Kindergarten), in der Zeit von August 2007 bis Juli 2008 zu erstatten.
Die Eltern der 2002 geborenen D. sind türkische Staatsangehörige und leben seit 1994 in Deutschland, zunächst in Duderstadt und seit 2003 in Göttingen. D. lebt mit zwei Schwestern im Haushalt der Eltern. Erstmals im September 2006 wurde im sozialpädiatrischen Zentrum Göttingen (SPZ) bei D. der Verdacht auf eine emotionale Störung des Kindesalters mit sozialer Ängstlichkeit, eine globale Entwicklungsverzögerung und eine Fehlbildung des rechten Auges mit einhergehender Blindheit (Amaurosis bei Mikrophthalmus und Katarakt rechts) festgestellt (Berichte vom 22. September 2006 und 4. April 2007). In weiteren Berichten vom 23. Mai 2007 und 5. Dezember 2007 wurden diese Diagnosen bestätigt und zusätzlich eine psychische Störung, bei welcher die sprachliche Kommunikation stark beeinträchtigt ist (elektiver Mutismus) und unklare Allgemeine Lern- und Leistungsmöglichkeiten angegeben.
Am 18. April 2007 beantragten die Eltern für D. bei dem Fachbereich Soziales der Klägerin die Gewährung von Eingliederungshilfe nach §§ 53ff SGB XII in Form der Kostenübernahme für eine integrative Betreuung, worauf eine sozialmedizinische Stellungnahme des Gesundheitsamts eingeholt wurde. Darin gelangte Dr. H. am 21. Juni 2007 zu dem Ergebnis, dass bei D. eine erhebliche Sehbehinderung, eine sprachliche Entwicklungsstörung und -verzögerung sowie eine Störung mit sozialer Ängstlichkeit vorliege und die Entwicklungs- und Verhaltensstörungen die Fähigkeit des Kindes zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigen. Es drohe ein Zurückbleiben der geistigen Entwicklung. Als Form der Hilfe sei eine teilstationäre Betreuung durch Aufnahme in die integrative Gruppe eines Kindergartens geeignet.
Der Fachbereich Soziales hielt sich aufgrund einer seiner Ansicht nach bei D. im Vordergrund stehenden seelischen Behinderung für unzuständig und gab den Antrag mit innerdienstlicher Mitteilung vom 3. Juli 2007 an den Fachbereich Jugend der Klägerin weiter. Am 24. Juli 2007 fand dort ein Hilfeplangespräch statt, wonach bei D...