Entscheidungsstichwort (Thema)

Entbehrlichkeit des Vorverfahrens bei fehlender Widerspruchstelle. Zulässigkeit der Anfechtungsklage. Aufhebung des Verwaltungsakts

 

Orientierungssatz

Nach Art 19 Abs 4 GG kann ein belastender Ausgangsbescheid direkt mit der Anfechtungsklage angegriffen werden, wenn ein Vorverfahren mangels Vorhandenseins einer Widerspruchstelle nicht durchführbar ist. Allein deswegen besteht schon ein Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses des jetzigen Beklagten zu 2) und früheren Beigeladenen.

Die zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassenen Kläger betreiben in H eine Gemeinschaftspraxis. Am 22. Februar 1996 wurde in ihrer Praxis dem bei der Beigeladenen zu 1) Versicherten F H die Brücke 24 -- 26 sowie die Kronen 17, 16, 47, 35 und 37 eingegliedert. Da die Kronen nach Angaben des Versicherten ständig herunter fielen und sich Anfang 1997 zudem oben links Beschwerden einstellten, ließ die Beigeladene zu 1) die ausgeführten prothetischen Leistungen im Rahmen eines Gutachterverfahrens untersuchen. Der als Gutachter bestellte Zahnarzt K stellte in seinem Gutachten vom 31. Juli 1997 fest, dass die Prothetik mangelbehaftet sei. Bei der klinischen Untersuchung habe sich ergeben, dass die Krone 17 nicht mehr zementiert gewesen und der präparierte Stumpf massiv subgingival zerstört sowie mit einer unvollständigen Wurzelfüllung versehen sei. Der Zahn 16 habe distal eine deutlich sondierbare Sekundärkaries aufgewiesen. Die Extensionsbrücke 24, 25 -- 26 habe deutlich sondierbare sekundärkariöse Defekte.

Die Krone 37 sei nicht mehr zementiert gewesen und der Zahn massiv bis unter die Präparationsgrenze zerstört, so dass der Erhalt dieses Zahnes nicht mehr gewährleistet sei. Die Krone 35 sei deutlich sondierbar und nicht randschlüssig. Der Zahn 47 habe laut Röntgenaufnahme eine apikale Ostitis, die Kronenränder seien deutlich sondierbar und nicht randschlüssig. Unter Hinweis auf die gutachterlichen Feststellungen beantragte die Beigeladene zu 1) mit Schreiben vom 21. August 1997 bei dem jetzigen Beklagten zu 2) und früheren Beigeladenen die Feststellung eines Mängelanspruchs. Gleichzeitig wies sie darauf hin, dass der Versicherte eine Weiterbehandlung durch die Kläger auf Grund des gestörten Vertrauensverhältnisses ablehne. Im Rahmen der von dem jetzigen Beklagten zu 2) und früheren Beigeladenen durchgeführten Anhörung wiesen die Kläger darauf hin, dass die Anfertigung der Kronen durch ihre damalige Assistentin erfolgt sei. Im September 1996/Oktober 1996 habe der Patient längere Termine, die für Korrekturen und ggf eine Neuanfertigung des Zahnersatzes vorgesehen gewesen seien, nicht wahrgenommen. Der Patient habe im Rahmen eines Vorgesprächs akzeptiert, dass sie, die Kläger, die Korrekturen selbst vornehmen würden. Angesichts des vorgesehenen Behandlerwechsels gehe das Argument des verlorenen Vertrauens ins Leere. Mit Beschluss vom 01. Oktober 1997 gab der jetzige Beklagte zu 2) und früherer Beigeladene dem Mängelanspruch statt. Ausweislich des Gutachtens vom 31. Juli 1997 weise die eingegliederte prothetische Versorgung so erhebliche Mängel auf, dass eine Neuversorgung erfolgen müsse. Der Beschluss enthält die Rechtsbehelfsbelehrung, dass gegen ihn die Klage zulässig sei.

Ein Widerspruchsausschuss in Angelegenheiten des Prothetik-Einigungsausschusses existiert in Niedersachsen bisher nicht.

Gegen den ihnen mit Einschreiben vom 16. Oktober 1997 übersandten Beschluss haben die Kläger am 13. November 1997 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und diese gegen die Kassenzahnärztliche Vereinigung Niedersachsen (KZVN) -- jetzige Beklagte zu 1) -- gerichtet. Eine Klagebegründung ist nicht erfolgt.

Das SG hat mit Beschluss vom 18. Januar 1999 unter anderem den Prothetik-Einigungsausschuss (PEA) beigeladen und mit Urteil vom 17. Februar 1999 dessen Beschluss vom 01. Oktober 1997 aufgehoben. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Die Klage sei trotz § 78 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Durchführung des Vorverfahrens zulässig. Dies ergebe sich aus Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG). Sie sei zudem begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten sei aufzuheben, da die Kläger durch die unrechtmäßige Unterlassung der Bildung einer Widerspruchsstelle in ihren Rechten verletzt seien. Wegen des Nichtvorhandenseins einer Widerspruchsstelle könne das gesetzlich vorgesehene Vorverfahren nicht durchgeführt werden. Angesichts dessen habe der Beklagte den angefochtenen Bescheid nicht erlassen dürfen. Eine Behörde könne erst dann hoheitlich tätig werden, wenn ein gesetzmäßiger Verfahrensablauf gesichert sei. Es sei nicht hinnehmbar, ein Rechtssubjekt durch eine hoheitliche Entscheidung zu belasten, ohne dass für dieses die Möglichkeit bestehe, das gesetzlich gebotene Rechtsmittel einzulegen.

Gegen die ihnen am 15. April 1999 zugestellte erstinstanzliche Entscheidung haben die KZVN als Beklagte un...

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