Entscheidungsstichwort (Thema)
Entbehrlichkeit des Vorverfahrens bei fehlender Widerspruchstelle. Zulässigkeit der Anfechtungsklage. Aufhebung des Verwaltungsakts
Orientierungssatz
Nach Art 19 Abs 4 GG kann ein belastender Ausgangsbescheid direkt mit der Anfechtungsklage angegriffen werden, wenn ein Vorverfahren mangels Vorhandenseins einer Widerspruchstelle nicht durchführbar ist. Allein deswegen besteht schon ein Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte zu Recht einen Mängelanspruch gegen den Kläger festgesetzt hat.
Der Kläger, der zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen ist, gliederte dem bei der Beigeladenen zu 1) Versicherten S Ö am 15. November 1991 einen festsitzenden Zahnersatz in Ober- und Unterkiefer ein. Da sich bei dem Versicherten Beschwerden einstellten, veranlasste die Beigeladene zu 1) eine Nachbegutachtung durch den Zahnarzt Dr L. Dieser kam im Gutachten vom 17. März 1992 zu dem Ergebnis, dass die Kronenränder verschiedener Zähne frei lägen. Da der Versicherte eine Weiterbehandlung durch den Kläger ablehnte, machte die Beigeladene zu 1) bei dem Beklagten einen Mängelanspruch gemäß § 4 Abs 1 der Anlage 12 zum Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) geltend. Nach Anhörung des Klägers beauftragte der Beklagte den Zahnarzt Dr P mit der Durchführung einer Kontrolluntersuchung. Dieser stellte im Gutachten vom 27. Oktober 1992 ebenfalls fest, dass die Kronenränder nicht fehlerfrei gestaltet seien. Daraufhin gab der Beklagte dem Mängelanspruch mit Beschluss vom 27. Oktober 1992 statt. Gegen die ihm mit Schreiben vom 28. Januar 1993 übersandte Entscheidung erhob der Kläger am 22. Februar 1993 Widerspruch. Diesen wies die von der Beigeladenen zu 2) eingerichtete und mit drei Zahnärzten besetzte "Widerspruchsstelle für Prothetik-Einigungsfälle" mit Beschluss vom 23. Mai 1993 als unbegründet zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 5. Juli 1993 Klage vor dem Sozialgericht Hannover -- S 21 Ka 346/93 --. Das Sozialgericht hob mit Gerichtsbescheid vom 3. Dezember 1993 den Beschluss der Widerspruchsstelle für Prothetik-Einigungsfälle vom 23. Mai 1993 auf. Diese Verwaltungsstelle sei mangels entsprechender gesetzlicher oder vertraglicher Vorschriften sachlich unzuständig und die von ihr erlassenen Verwaltungsakte daher nichtig. Die hiergegen gerichtete Berufung wies der erkennende Senat mit Urteil vom 14. September 1994 -- L 5 KA 65/93 -- zurück. Für die Überprüfung von Entscheidungen des Prothetik-Einigungsausschusses sei zwischen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Niedersachsen und den Landesverbänden der Krankenkassen eine Widerspruchsstelle zu vereinbaren und paritätisch zu besetzen. (Eine derartige Widerspruchsstelle existiert in Niedersachsen nach wie vor nicht.) Ferner ist in den Entscheidungsgründen darauf hingewiesen, dass nach Feststellung der Nichtigkeit des angefochtenen Bescheides der effektive Rechtsschutz für den Kläger weiterhin gewährleistet sei. Er habe die Möglichkeit, unmittelbar Klage gegen den Ausgangsbescheid des Prothetik-Einigungsausschusses zu erheben. Bezüglich der Klagefrist sei seitens des Klägers ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) zu stellen. Das Urteil wurde dem Kläger am 10. Oktober 1994 zugestellt.
Am 10. November 1994 hat er beim Sozialgericht Hannover den Beschluss des Prothetik-Einigungsausschusses vom 20. Januar 1993 angefochten und gleichzeitig einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist gestellt. Die ursprünglich gegen die Kassenzahnärztliche Vereinigung Niedersachsen und die AOK Bremen gerichtete Klage hat der Kläger nach einem Hinweis des Sozialgerichts auf den Prothetik-Einigungsausschuss umgestellt. Zur Begründung des Rechtsbehelfs hat er darauf hingewiesen, dass die von ihm erstellte prothetische Versorgung des Versicherten Ö frei von Mängeln und Fehlern gewesen sei. Das Sozialgericht hat das Gutachten des Prof Dr med dent K vom 27. September 1996 eingeholt. Dieser ist zu folgendem Ergebnis gelangt: Der bei dem Patienten Ö eingegliederte Zahnersatz sei weder in der Planung noch in der Ausführung fehlerhaft gewesen. Die durchgeführte Behandlung habe allerdings zur Therapie des vorhandenen Zustandes nicht ausgereicht. Der Fehler liege in der Gesamtplanung begründet, die das Missverhältnis in der vertikalen Beziehung der Kiefer zueinander nicht berücksichtige, und in einer Unterschätzung der Fehlfunktion des Gebisses des Patienten. Das Kauorgan des Betroffenen müsse komplett rehabilitiert werden einschließlich einer experimentellen Neuzuordnung zwischen Ober- und Unterkiefer. Der Kläger hat hierzu vorgetragen, dass sich im Laufe der Behandlung Schwierigkeiten eingestellt hätten, die er im Voraus nicht habe einschätzen können. Erst daraus habe sich die Notwendigkeit eines neuen Therapiekonzeptes ergeben, das er auf Grund des Abbruchs der Behandlung nicht mehr habe umsetzen können. Bei richtiger Würdigung der Sachverständigenausführungen stehe fest...