Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Härtefall. Regelung über vollständige Befreiung nach § 61 SGB 5 ist verfassungsgemäß

 

Orientierungssatz

Die Regelung des § 61 SGB 5 verstößt weder gegen den Grundsatz des Sozialstaatsgebots noch gegen die Art 3 Abs 1 und 6 Abs 1 GG (Festhaltung an LSG Celle vom 11.3.1998 - L 4 KR 97/97).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 16.12.2003; Aktenzeichen B 1 KR 26/01 R)

 

Tatbestand

Streitig ist die Befreiung von Zuzahlungspflichten in der gesetzlichen Krankenversicherung in den Jahren 1997 und 1998 nach § 61 Fünftes Sozialgesetzbuch.

Die 1956 geborene Klägerin ist seit 1. August 1971 versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder, die bei ihr familienversichert sind (I, geb.: ... 1984; H, geb.: ... 1986; D, geb.: ... 1988 und M, geb.: ... 1990).

Mit ihren Schreiben vom 26. Juli 1997 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, sie von der Eigenbeteiligung für Leistungen der Krankengymnastik und Zahnersatz zu befreien. Mit weiteren Schreiben vom 30. Juli 1997 beantragte die Klägerin erneut die vollständige Befreiung für sich und ihre Familie von Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen. Die Beklagte informierte die Klägerin mit Schreiben vom 30. Juli 1997, das eine Rechtsmittelbelehrung enthält, über die Voraussetzungen der Befreiung von einer Zuzahlung im Zusammenhang mit der Leistungsgewährung in der gesetzlichen Krankenversicherung und übersandte der Klägerin ein entsprechendes Merkblatt. Daraufhin teilte die Klägerin ihre Bruttoeinnahmen für sich mit 1.500,-- DM und für ihren Ehemann mit 5.000,-- DM (Juli 1997) mit.

Unter dem 1. August 1997 erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover. Sie führte an, Klagegrund sei der "Bescheid vom 30.07.1997", in dem ihr mitgeteilt worden sei, dass sie nur dann von Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen befreit werden könne, wenn sie mit ihrer Familie weniger als die Einkommensgrenzen verdiene, die derzeit gesetzlich vorgeschrieben seien. Sie verwies hierzu auf ihr Widerspruchsschreiben vom 1. August 1997 an die Beklagte.

Mit Bescheiden vom 29. August 1997 wies die Beklagte die Anträge der Klägerin auf Befreiung von Zuzahlungen bei Zahnersatz und von Zuzahlungen bei Krankengymnastik zurück. Das zu berücksichtigende monatliche Gesamteinkommen betrage 6.500,-- DM und liege daher im Falle des Sechs-Personen-Haushaltes der Klägerin über der Einkunftsgrenze 1997 mit 4.056,50 DM. Die hiergegen erhobenen Widersprüche wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 19. März 1998 zurück. Eine unzumutbare Belastung liege weder in 1997 noch in 1998 vor.

Zur Begründung ihrer von dem SG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen hat die Klägerin ua vorgetragen, bei der Anwendung der Härtefallregelung bzw bei der 1%-Überforderungsregelung seien zuerst der tatsächliche Betreuungs- und Barunterhalt und die tatsächlichen Bildungskosten bzw alternativ dazu die Summe des Existenzminimums vom Netto-Einkommen abzuziehen. Erst danach sei die Summe zu errechnen, nach der Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen gezahlt werden müssten. Sie und ihre Familie seien nur deshalb nicht "arm", weil sie nicht die tatsächlichen Aufwendungen für den Barunterhalt an die vier Kinder und die tatsächlichen Aufwendungen für den Betreuungsunterhalt und für die Bildung der Kinder von ihrem Netto-Einkommen abziehen könnten. Nur das um diese Aufwendungen verminderte Einkommen stelle jedoch ihre tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dar.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 7. Dezember 1999 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, die Klägerin von Zuzahlungen zur Krankengymnastik zu befreien bzw auch den Eigenanteil für die Versorgung mit Zahnersatz zu übernehmen. Die Voraussetzungen gemäß § 61 Abs 1 SGB V lägen nicht vor. Die maßgebliche Belastungsgrenze betrage für die Klägerin unter Berücksichtigung ihres Ehemannes und ihrer vier Kinder 4.356,50 DM im Monat. Dem stünden Bruttoeinnahmen von mehr als 7.000,-- DM der Klägerin und ihres Ehemannes gegenüber, womit die Belastungsgrenze des § 61 Abs 2 Nr 1 SGB V eindeutig überschritten werde.

Die Klägerin hat gegen dieses ihr am 22. Dezember 1999 zugestellte Urteil am 5. Januar 2000 Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen eingelegt. Sie trägt ua vor, die Zuzahlungen und alle Eigenbeteiligungen in der gesetzlichen Krankenversicherung seien grundsätzlich als systemwidrig anzusehen. Auf ihr voll versteuertes Einkommen würden bereits direkte Beiträge an die gesetzliche Krankenversicherung bezahlt. Die nochmalige Einziehung im Krankheitsfall von grundsätzlich systemwidrigen Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen in der gesetzlichen Krankenversicherung stelle einen Verstoß nach Artikel 3 Grundgesetz -- GG -- dar, weil nur Kranke diese Leistung erbringen müssten, aber keine Gegenleistung dafür (höheres Krankengeld) erhielten, während gesunde Menschen diese Leistung nicht erbringen müssten, obwohl gera...

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