Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsgeld. inländischer Wohnsitz. gewöhnlicher Aufenthalt. Rücknahme. Ermessen. Bösgläubigkeit. grobe Fahrlässigkeit
Orientierungssatz
1. Da allein der inländische Wohnsitz bzw gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet den Anspruch des Antragstellers auf Erziehungsgeld begründen kann, kommt es entscheidungserheblich darauf an, ob der Wohnsitz bzw Aufenthalt in Inland den Schwerpunkt der familiären und wirtschaftlichen Bindungen sowie der persönlichen Existenz des Antragstellers bildet (vgl BSG vom 27.9.1990 - 4 REg 30/89 = SozR 3-7833 § 1 Nr 2).
2. Die Behörde muß bei der Ermessensentscheidung im Rahmen des § 45 SGB 10 von einer richtigen Beurteilung der Voraussetzungen für das Ermessen und bei dessen Ausübung von einem richtigen und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgehen. Sie darf nur eine Rechtsfolge aussprechen und muß überhaupt eine Ermessensentscheidung treffen, wenn sie gesetzlich hierzu ermächtigt ist (vgl BSG vom 15.10.1987 - 1 RA 37/85 = SozR 1300 § 45 Nr 32; BSG vom 14.11.1985 - 7 RAr 123/84 = BSGE 59, 157 = SozR 1300 § 45 Nr 19).
3. Bei der Beurteilung ob die Behörde überhaupt eine Ermessenentscheidung im Rahmen von § 45 SGB 10 getroffen hat und ob diese Entscheidung rechtmäßig ist, kommt es auf den Inhalt des Rücknahmebescheides, insbesondere auf dessen Begründung an. Die Begründung muß erkennen lassen, daß die Behörde eine Ermessensentscheidung treffen wollte und auch getroffen hat. Überdies müssen in der Begründung die Gesichtspunkte dargelegt werden, von denen die Behörde bei der Ermessensausübung ausgegangen ist, § 35 Abs 1 S 3 SGB 10. Hierbei kommt es maßgeblich auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides an, § 41 Abs 2 Nr 2 iVm Abs 2 SGB 10.
4. Im Fall der Bösgläubigkeit iS des § 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB 10 ist das zu Unrecht Erlangte vom Bösgläubigen durch Erstattungsbescheid zurückzufordern bzw der rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakt zurückzunehmen, weil das in § 45 Abs 1 SGB 10 vorgesehen Ermessen auf Null reduziert ist und nur in Ausnahmefällen überhaupt von einer Rückforderung abgesehen werden dürfe (vgl BSG vom 25.1.1994 - 4 RA 16/92 = SozR 3-1300 § 50 Nr 16). Ein solcher Ausnahmefall ist gegeben, wenn nicht von vorsätzlich falschen Angaben des Antragstellers sondern allenfalls von einem grob fahrlässigen Handeln auszugehen ist.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung von Bewilligungsbescheiden zur Gewährung von Erziehungsgeld (Eg) und die Rückzahlung dieser Leistungen.
Die Klägerin, eine deutsche Staatsangehörige, arbeitete von 1986 bis Ende 1990 als angestellte Ergotherapeutin in der Schweiz. Von August 1987 bis Dezember 1992 wohnte sie in K., Kanton T.. Nach ihrer Eheschließung am 1. Juni 1989 zog auch ihr Ehemann, ebenfalls ein deutscher Staatsangehöriger, nach K..
Im Dezember 1992 zogen die Eheleute mit ihren am 13. Oktober 1990 bzw am 13. August 1992 in der Schweiz geborenen Kindern nach Sch. (Schweiz), wo sie auch heute noch wohnhaft sind. Seit April 1995 ist die Klägerin Inhaberin einer eigenen ergotherapeutischen Praxis in B./Schweiz. In der Zeit vom 3. Juni 1989 bis September 1993 bzw Dezember 1995 waren die Klägerin und ihr Ehemann mit dem Hauptwohnsitz in B., Landkreis C., gemeldet.
Mit ihrem im Dezember 1990 bei dem Beklagten eingegangenen Antrag begehrte die Klägerin die Zahlung von Eg für ihre im Oktober 1990 geborene Tochter A. M. Im Antragsvordruck gab sie als Anschrift "A, B." an, Angaben zu einem weiteren Wohnsitz oder zu einer abweichenden Anschrift des Ehegatten machte sie nicht. Auf der in beglaubigter Fotokopie vorgelegten Abstammungsurkunde des Standesamtes K. für ihre Tochter ist als Geburtsort des Kindes Sch./Schweiz und als Wohnsitz der Klägerin und ihres Ehemanns K./T. aufgeführt.
Mit Bescheiden vom 2. Januar 1991 und vom 20. März 1991 bewilligte der Beklagte das beantragte Eg für den 1. bis zum 18. Lebensmonat des Kindes A. M. und zahlte an die Klägerin insgesamt 7.644,00 DM aus.
Für ihren im August 1992 geborenen Sohn C. A. beantragte die Klägerin ebenfalls Eg. Im Antragsvordruck teilte sie die Anschrift in B. mit. Als abweichende Anschrift des Ehegatten gab sie die Adresse in K. an. Ausweislich des beigefügten Geburtsscheines des Zivilstandesamts K. wurde ihr Sohn dort geboren, die Eltern wurden als in K. wohnhaft aufgeführt. Mit Bescheiden vom 11. September 1992 und vom 27. November 1992 bewilligte der Beklagte antragsgemäß das Eg für das Kind C. A. vom 1. bis zum 18. Lebensmonat. Der Beklagte zahlte an die Klägerin Eg in Höhe von 4.138,00 DM für 7 Monate (August 1992 bis Februar 1993) aus und stellte danach die Zahlungen ein.
Mit Bescheid vom 8. April 1993 hob der Beklagte die Bewilligungsbescheide vom 20. Januar 1991/20. März 1991 bzw vom 11. September 1992/27. November 1992 mit Wirkung auch für die Vergangenheit auf und forderte die an die Klägerin ausgezahlten Leistungen in Höhe von insgesamt 11.782,00 DM zurück. Ein Anspruch der Klägerin auf Eg habe nicht bestanden, weil sie keinen Wohnsitz oder g...