Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsunfähigkeitsrente. Anspruch. Landwirt. Hofübergabe. arbeitsmarktunabhängige Erwerbsunfähigkeit. Hofübergabe-Fiktion
Orientierungssatz
1. Nach dem in § 21 Abs 9 ALG ausdrücklich in Bezug genommenen § 44 Abs 2 SGB 6 liegt Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich dann vor, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen zu einem Herabsinken der Erwerbsfähigkeit des Versicherten auf ein zeitliches Leistungsvermögen von nur noch bis zu zwei bis drei Stunden täglich geführt haben (abstrakte Betrachtungsweise; sogenannte medizinische Erwerbsunfähigkeit). Diese grundsätzliche Form der EU ist arbeitsmarktunabhängig.
2. Nach dem Wortlaut des § 21 Abs 9 S 1 Nr 1 idF vom 15.12.1995 ("unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage") gilt für die Annahme der Hofübergabe der vorstehend beschriebene Grundsatz der abstrakten Betrachtung (medizinische Erwerbsunfähigkeit). Danach ist ausschließlich die zeitliche Leistungsfähigkeit (bis zu zwei bis drei Stunden täglich) maßgeblich für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten.
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) nach dem Gesetz über die Alterssicherung für Landwirte (ALG).
Der im Jahre 1945 geborene Kläger hatte sich nach einer Bandscheiben-Operation im Jahre 1987 einer zweiten Bandscheiben-Operation im Juni 1995 unterzogen und war im September 1995 arbeitsunfähig aus einer Maßnahme zur orthopädischen Rehabilitation entlassen worden. Im Januar 1996 hatte er seinen landwirtschaftlichen Betrieb an seine im Jahre 1946 geborene Ehefrau abgegeben.
Noch im Januar 1996 stellte der Kläger den zu diesem Verfahren führenden Antrag auf Rente wegen EU nach dem ALG und erklärte, dass nunmehr seine Ehefrau den Hof ohne seine Mithilfe bewirtschafte. Die Beklagte holte ein Gutachten von dem Arzt für Innere Medizin Dr. M vom 16. April 1996 ein, der radikuläre Restbeschwerden im Sinne einer Fußheberschwäche (rechts) feststellte und den Kläger noch für in der Lage hielt, leichte körperliche Arbeit in wechselnder Körperhaltung und ohne häufiges Bücken vollschichtig zu verrichten. EU liege nicht vor. Eine Aussage zur Wegefähigkeit des Klägers traf Dr. M nicht. Gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 29. April 1996 erhob der Kläger Widerspruch und legte verschiedene ärztliche Unterlagen vor, darunter den Arztbrief des Arztes für Orthopädie Dr. B vom 27. Juni 1996, der erklärte, dass der Kläger in seinem bisherigen Beruf als Landwirt nicht mehr einsetzbar sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 1996 mit der Begründung zurück, dass der Kläger noch vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar sei.
Zur Begründung seiner hiergegen am 3. Januar 1997 vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg erhobenen Klage hat der Kläger eine eingeschränkte Gehfähigkeit geltend gemacht und erklärt, dass er zwar im Besitz eines Führerscheins der Klasse 3 nicht jedoch im Besitz eines Kfz sei, da er dieses aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der ständigen Einnahme von Schmerzmitteln nicht führen könne. Zudem hat der Kläger weitere ärztliche Bescheinigungen vorgelegt, darunter diejenige des Facharztes für Allgemeinmedizin M vom 31. März 1998, der ausführte, dass sich die Beschwerdesymptomatik des Klägers deutlich verschlechtert und dazu geführt habe, dass der Kläger bereits im Jahre 1996 seinen Beruf nur noch weniger als zwei Stunden täglich habe ausüben können und den Betrieb daher an seine Frau habe abgeben müssen. Das SG hat ein Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. S vom 8. Juni 1998 eingeholt, nach dessen Feststellungen der Kläger noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bis zu sechs Stunden täglich arbeiten könne, wenn folgende Einschränkungen beachtet würden: Absolut leicht körperliche Tätigkeiten in Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen; keine Tätigkeiten, bei denen der Kläger länger als eine halbe Stunde Stehen oder länger als zwei Stunden sitzen müsse; ohne jedwedes Bücken, auch nicht zum Aufheben von leichten Gegenständen; ohne Besteigen von Leitern und Gerüsten; Tätigkeiten von einfacher Art und einfacher Verantwortung. Bei entsprechender Schutzbekleidung könnten die verbliebenen Tätigkeiten auch im Freien verrichtet werden. Die im Vordergrund stehende Beeinträchtigung der LWS und der Hüftgelenke des Klägers führten zu einer Einschränkung der Gehfähigkeit auf bis zu allenfalls 500 m. Diese Leistungseinschätzung gelte seit der Antragstellung im Januar 1996. Daraufhin entschied das SG mit Urteil vom 22. September 1998, dass die Beklagte dem Kläger eine Rente wegen EU mit Wirkung ab Februar 1996 zu gewähren habe. Zur Begründung führte es aus: Rechtsgrundlage des Rentenanspruchs des Klägers sei § 13 Abs 1 iVm § 1 Abs 3 ALG. Danach sei EU gegeben, wenn eine Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) vorliege und diese Erwerbsunfähigkeit nicht arbeitsmarktabhä...