Entscheidungsstichwort (Thema)
landwirtschaftliche Alterssicherung – Erwerbsunfähigkeitsrente – Anspruch – Landwirt – Hofübergabe – Ehefrau – Wegeunfähigkeit – arbeitsmarktunabhängige Erwerbsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Ein Landwirt, bei dem iS der Rechtsprechung Wegeunfähigkeit besteht, der aber noch mehr als zwei Stunden leichte Arbeiten verrichten kann, ist nicht unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage erwerbsunfähig, wenn er das landwirtschaftliche Unternehmen an seine Ehefrau abgibt, weiter auf dem Hof wohnt und es dort in ausreichendem Umfang dem Restleistungsvermögen entsprechende Tätigkeiten gibt.
Stand: 12. November 2001
Normenkette
SGB VI § 44 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 Fassung 1996-05-02; ALG § 94 Abs. 2 Fassung: 1995-12-15, § 1 Abs. 3 Fassung: 1995-12-15, § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Fassung: 1995-12-15, Nr. 1 Fassung: 1995-12-15, § 21 Abs. 9 S. 1 Fassung: 1995-12-15, § 13 Fassung: 1994-07-29, § 21 Abs. 9 Fassung: 1994-07-29, § 13 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1995-12-15
Beteiligte
Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen |
Landwirtschaftliche Alterskasse Oldenburg-Bremen |
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 13. April 2000 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der Rechtsstreit betrifft den Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) auf der Grundlage des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) nach Abgabe des landwirtschaftlichten Unternehmens an seine Ehefrau.
Der am 11. April 1945 geborene Kläger beantragte im Januar 1996 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen EU, nachdem er mit Vertrag vom 30. Dezember 1995 die Eigen- und Pachtflächen an seine Ehefrau abgegeben und erklärt hatte, daß er zum 1. Januar 1996 aus dem landwirtschaftlichen Unternehmen in W./T. ausscheide. Gestützt auf ein innermedizinisches Gutachten, wonach der Kläger noch leichte Arbeiten im Wechsel von Sitzen, Gehen und Stehen unter Beachtung zusätzlicher qualitativer Einschränkungen regelmäßig vollschichtig ausführen könne, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. April 1996 den Antrag ab. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 1996 mit der Begründung zurück, er sei noch vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar.
Auf die dagegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg hat das Gericht ein orthopädisches Gutachten eingeholt, wonach der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bis zu sechs Stunden täglich arbeiten könne, wenn zusätzliche Einschränkungen hinsichtlich der Art der zu verrichtenden Tätigkeiten beachtet würden. Die im Vordergrund stehende Beeinträchtigung der Lendenwirbelsäule und der Hüftgelenke führten außerdem zu einer Einschränkung der Gehfähigkeit auf bis zu allenfalls 500 m. Diese Leistungseinschätzung gelte seit der Antragstellung im Januar 1996. Der Kläger hat ergänzend vorgetragen, er sei zwar im Besitz eines Führerscheins der Klasse 3, jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, selbständig ein Kraftfahrzeug zu führen. Mit Urteil vom 22. September 1998 hat das SG die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen EU ab Februar 1996 zu zahlen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen mit Urteil vom 13. April 2000 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger sei zwar erwerbsunfähig iS von § 44 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI), da er nicht mehr vollschichtig leistungsfähig sei und zudem Wegeunfähigkeit vorliege. Die EU bestehe aber nicht unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage (§§ 13, 21 Abs 9 ALG). Dies sei nur dann der Fall, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen zu einem Herabsinken der Erwerbsfähigkeit des Versicherten auf ein zeitliches Leistungsvermögen von nur noch bis zu zwei bis drei Stunden täglich geführt hätten. Etwaige weitere gesundheitsbedingte Leistungseinschränkungen, wie vorliegend die eingeschränkte Wegefähigkeit, seien deshalb nicht zu berücksichtigen. Die Regelung des § 21 Abs 9 ALG sei eine Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen sei, um Manipulationsmöglichkeiten zu vermeiden. Mit dieser Auslegung würden außerdem umfangreiche Ermittlungen und Einzelfallentscheidungen entbehrlich, so daß es nicht auf die Frage ankomme, ob der Kläger in Besitz eines Fahrzeuges sei oder ob er aus gesundheitlichen Gründen noch in der Lage sei, es zu führen.
Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, er sei bei der gegebenen Einschränkung der Gehfähigkeit grundsätzlich nicht in der Lage, einen Arbeitsplatz zu erreichen und könne daher keine Erwerbstätigkeit ausüben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 13. April 2000 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 22. September 1998 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
II
Die Revision des Klägers ist in dem Sinne begründet, daß das angegriffene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Da der Kläger den Rentenantrag im Januar 1996 gestellt hat, richtet sich der geltend gemachte Anspruch auf Rente wegen EU gemäß der Übergangsregelung des § 94 Abs 2 ALG nach § 13 ALG idF des Agrarsozialreformgesetzes vom 29. Juli 1994 (ASRG 1995, BGBl I S 1890) iVm § 44 Abs 2 SGB VI idF des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S 2261, ber.1990 I S 1337).
Landwirte erhalten danach Rente wegen EU, wenn sie erwerbsunfähig nach den Vorschriften des SGB VI sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der EU mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge zur landwirtschaftlichen Alterskasse gezahlt und die Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben und wenn das Unternehmen der Landwirtschaft abgegeben ist (§ 13 Abs 1 ALG). Der Kläger hat nach den das Bundessozialgericht (BSG) bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) das Unternehmen an seine Ehefrau abgegeben. Deshalb kommt es gemäß § 21 Abs 9 ALG (idF des ASRG-ÄndG vom 15. Dezember 1995, BGBl I S 1814) darauf an, ob er seit diesem Zeitpunkt unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage erwerbsunfähig ist. Dies richtet sich aufgrund der Verweisung in § 13 Abs 1 Satz 1 Nr 1 ALG iVm § 21 Abs 9 ALG nach den Vorschriften des SGB VI. Erwerbsunfähig ist gemäß § 44 Abs 2 Satz 1 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung ein Versicherter, der wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht ausüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielen kann, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Davon ist – nach der Rechtsprechung des Großen Senats des BSG – jedenfalls schon dann auszugehen, wenn der Versicherte aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nur noch weniger als zwei Stunden täglich arbeiten kann (BSGE 30, 192, 208 = SozR Nr 20 zu § 1247 RVO S Aa 27). Demgegenüber wird bei der sog arbeitsmarktabhängigen EU die Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts bei entsprechenden quantitativen Leistungseinschränkungen berücksichtigt (BSGE 30, 167 = SozR Nr 79 zu § 1246 RVO; BSGE 30, 192 = SozR Nr 20 zu § 1247 RVO; BSGE 43, 75 = SozR 2200 § 1246 Nr 13). Soweit der Kläger – wie vom LSG festgestellt – noch bis zu sechs Stunden täglich arbeiten kann, bedingt diese zeitliche Einschränkung mithin nur eine von der jeweiligen Arbeitsmarktlage abhängige EU.
Entgegen der Auffassung des LSG können jedoch auch schwerwiegende qualitative Leistungseinschränkungen (unter Umständen zusätzlich zu quantitativen Leistungseinschränkungen) eine EU unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage bedingen. Begründet eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung die Verschlossenheit des Arbeitsmarktes, liegt EU auch dann vor, wenn auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt theoretisch ein vollschichtiges Leistungsvermögen gegeben wäre (BSGE 80, 24, 33 ff = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26 ff mwN). In der – vom Großen Senat bestätigten – ständigen Rechtsprechung des BSG wurden dazu mehrere Gruppen herausgearbeitet und in einem Katalog zusammengestellt, bei denen die Verschlossenheit des Arbeitsmarktes ohne weitere Prüfung angenommen werden kann (vgl BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28 unter Bezugnahme auf BSG SozR 2200 § 1246 Nr 137 und 139; vgl näher dazu KassKomm-Niesel § 43 SGB VI RdNr 88 ff). Hierzu zählt das Fehlen der Wegefähigkeit (vgl bereits BSG SozR Nr 101 zu § 1246 RVO; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 47, 50, 53, 56; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 137, 139). Der Versicherte darf in diesem Falle nicht auf ein theoretisch mögliches Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden.
Der Anforderung des Gesetzes, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage die EU festzustellen (§ 13 Abs 1 iVm § 21 Abs 9 und § 1 Abs 3 ALG), steht es nicht entgegen, daß beim Fehlen der Wegefähigkeit „der Arbeitsmarkt verschlossen” ist; die Wegefähigkeit ist kein Gesichtspunkt des Arbeitsmarktes im hier maßgeblichen Sinne. Hinsichtlich der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes muß zwischen konjunkturell und strukturell geprägter Arbeitsmarktsituation unterschieden werden. Wenn für den Versicherten wegen seiner Gesundheitsstörungen aufgrund der konjunkturell bedingten Arbeitsmarktlage praktisch kein entsprechender Arbeitsplatz in Betracht kommt, ist seine Erwerbsunfähigkeit arbeitsmarktabhängig, andernfalls nicht (vgl BSGE 80, 24, 35 f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8, 29; vgl Gagel, SozSich 1997, S 339 zur Auslegung von § 44 Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB VI; Loytved, NZS 1999, S 276, 279; Kamprad in Hauck/Noftz, § 44 SGB VI RdNr 30). In den Katalogfällen fehlt eine Einsatzmöglichkeit in der Regel deshalb, weil – unabhängig von konjunkturellen Schwankungen des Arbeitsmarktes – Arbeitsplätze für Personen mit derart gravierenden Leistungseinschränkungen nicht zur Verfügung stehen. Damit bilden die Leistungseinschränkungen, also der Gesundheitszustand des Versicherten, die wesentliche Ursache für die EU (vgl Bürck, DAngVers 1984, 191, 195; KassKomm-Niesel, § 102 SGB VI RdNr 10). Beim Fehlen der Wegefähigkeit gilt dies erst recht, wenn der Verlust eines Minimums an Mobilität als Teil des versicherten Risikos angesehen wird (vgl BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 10 S 30; BSG vom 19. August 1997 – 13 RJ 89/96 –, nv, JURIS-Nr KSRE024430208; Loytved, NZS 1999, 276, 277 mwN).
Im Bereich der Alterssicherung der Landwirte ergibt sich aus Sinn und Zweck der Regelungen in § 13 Abs 1 iVm § 21 Abs 9, § 1 Abs 3 ALG keine andere Beurteilung. Nach der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs 3 ALG (vgl ASRG-ÄndG vom 15. Dezember 1995, BT-Drucks 13/2747 S 12 f, zu Nr 2) stellt die Regelung sicher, „daß der Ehegatte eines Landwirts nicht wie ein Landwirt versichert wird, wenn er unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage, dh nur aus gesundheitlichen Gründen erwerbsunfähig ist. Eine lediglich mit Rücksicht auf die Arbeitsmarktlage festgestellte EU soll die Versicherungspflicht unberührt lassen, da in diesen Fällen die Möglichkeit der Mitarbeit nicht ausgeschlossen ist”.
§ 21 Abs 9 ALG beruht – wie sich aus der Gesetzesbegründung (vgl BT-Drucks 12/5700 S 74) ergibt – auf dem „Grundsatz, daß – wie bisher – eine Hofabgabe unter Ehegatten keine Abgabe im Sinne des Gesetzes ist. Nur unter bestimmten Voraussetzungen ist eine Hofabgabe unter Ehegatten leistungsunschädlich, und zwar wenn der die Fläche abgebende Ehegatte aus dem Unternehmen ausgeschieden ist und 1. medizinisch, also unabhängig vom Arbeitsmarkt, erwerbsunfähig im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung ist oder 2. der übernehmende Ehegatte mindestens 62 Jahre alt ist.” Der Wille des Gesetzgebers geht somit dahin, daß die Abgabe des Unternehmens an den Ehegatten nur dann einen Anspruch auf Rente auslösen soll, wenn dem Versicherten aufgrund der bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen eine weitere Mitarbeit im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht mehr zugemutet werden kann. Die gesetzliche Regelung soll verhindern, daß der Landwirt das Unternehmen nur dem äußeren Schein nach an den Ehegatten abgibt und Leistungen der landwirtschaftlichen Alterskasse bezieht, obwohl er das Unternehmen nach wie vor weiterführt (BSG SozR 3-5868 § 21 Nr 1 S 5).
Dies muß auch beim Fehlen der Wegefähigkeit beachtet werden. Deshalb ist – jedenfalls bei einem Landwirt, der auf oder in der Nähe seines früheren Hofes wohnt – Erwerbsunfähigkeit unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage nur anzunehmen, wenn in dem bisher ausgeübten Beruf keine Arbeiten mehr ausgeführt werden können oder der ehemalige Landwirt nur noch über ein sehr geringes Leistungsvermögen verfügt (vgl BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27; SozR 2200 § 1246 Nr 75, 90 S 285 mwN; SozR 3-2200 § 1247 Nr 10 S 32 f). Steht fest, daß er in seinem Beruf nicht mehr arbeiten kann oder seine berufliche Leistungsfähigkeit auf höchstens zwei Stunden täglich abgesunken ist, gibt es keinen Grund zu der Vermutung, die Leistungen der Alterskasse würden mißbräuchlich in Anspruch genommen. In diesem Falle entfällt auch die Grundlage für die Fiktion nach § 13 Abs 1 Satz 2 iVm § 1 Abs 3 ALG.
Ob der Kläger in diesem Sinne erwerbsunfähig ist, läßt sich nach den bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG nicht beurteilen. Dazu muß sein Leistungsvermögen im bisherigen Beruf als Landwirt – unbeschadet der Frage der Wegeunfähigkeit – gesondert ermittelt werden. EU aufgrund mangelnder Wegefähigkeit scheidet nach der Rechtsprechung (BSG SozR 2200 § 1247 Nr 47 S 93; aaO Nr 56 S 111; BSG SozR 3-2600 § 44 Nr 10 S 38) aus, wenn der Versicherte einen Arbeitsplatz innehat, der die noch zumutbaren Wegebedingungen aufweist oder ihm ein solcher Arbeitsplatz tatsächlich angeboten werden kann. Dem entspricht es, wenn der Versicherte nur deswegen keinen Arbeitsplatz mit den erforderlichen Bedingungen hat, weil er diesen freiwillig, also nicht aus zwingenden gesundheitlichen Gründen, aufgegeben hat. Kann der Kläger in seinem früheren landwirtschaftlichen Unternehmen noch regelmäßig mehr als zweistündig täglich arbeiten und daraus mehr als nur geringfügige Einkünfte erzielen, ist er trotz Fehlens der Wegefähigkeit nicht erwerbsunfähig. Die hierzu notwendigen Feststellungen wird das LSG in dem erneuten Berufungsverfahren mit Hilfe medizinischer und berufskundlicher Sachverständiger treffen müssen. Dabei ist auf die typischen Verhältnisse eines Hofes abzustellen, der dem früheren landwirtschaftlichen Unternehmen des Klägers in Größe und Nutzungsart entspricht.
Die Rechtsprechung des BSG (vgl stellvertretend BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; SozR 2200 § 1247 Nr 56; Urteil vom 14. September 1995 – 5 RJ 10/95 – JURIS-Nr KSRE063280915; Urteil vom 19. August 1997 – 13 RJ 89/96 – JURIS-Nr KSRE024430208, jeweils mwN, stRspr) nimmt generell das Fehlen der Wegefähigkeit an, wenn der Versicherte aufgrund der bei ihm bestehenden Gesundheitsstörungen – auch unter Verwendung von Hilfsmitteln (zB Gehstützen) – nicht in der Lage ist, viermal täglich eine Wegstrecke von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß zurückzulegen und zwei Mal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen. Dabei ist – mit Blick auf die Zumutbarkeit eines Umzugs bei an sich vorliegender vollschichtiger Einsatzfähigkeit – ein generalisierender Maßstab anzulegen (BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; SozR 2200 § 1247 Nr 53; vgl KassKomm-Niesel, § 43 SGB VI RdNr 92). Außerdem kann ein Versicherter auf die zumutbare Benutzung eines eigenen Fahrzeuges verwiesen werden (BSG SozR Nr 27 zu § 1246 RVO; SozR 2200 § 1247 Nr 56; SozR 3-2200 § 1247 Nr 10 S 38; Urteil vom 22. September 1998 – B 13 RJ 291/97 B –, JURIS-Nr KSRE027421508, jeweils mwN). Können geeignete Arbeitsplätze mit dem eigenen PKW erreicht werden, ist einem Versicherten mit den Leistungseinschränkungen, die beim Kläger bestehen, der Arbeitsmarkt nicht verschlossen, weil die – erhebliche – Einschränkung der Gehfähigkeit nicht den Einsatz des Restleistungsvermögens auf dem Arbeitsmarkt ausschließt. Auch hierzu hat das LSG – aus seiner Sicht zu Recht – keine Feststellungen getroffen. Es wird daher noch ermitteln müssen, ob dem Kläger ein PKW zur Verfügung steht und ob er aus gesundheitlichen Gründen in der Lage ist, diesen zu führen. Die Prüfung dieser Frage ist im übrigen auch für die Einsatzfähigkeit des Versicherten im Beruf des Landwirts von Bedeutung (etwa im Hinblick auf das Führen von landwirtschaftlichen Fahrzeugen).
Im Rahmen der erneuten Verhandlung und Entscheidung hat das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden.
Fundstellen
Haufe-Index 645937 |
SozR 3-5868 § 13, Nr. 1 |
SozSi 2002, 135 |