Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflegeversicherung. Pflegebedürftigkeit. Kind mit Stoffwechselerkrankung (hier: Phenylketonurie)
Leitsatz (amtlich)
Die täglich mehrmals erforderliche Gabe einer genau zu berechnenden Menge Phenylalanin, verbunden mit nach strengen diätischen Richtlinien zusammenzustellenden Mahlzeiten, löst bei einem an einer Phenylketonurie leidenden Kind einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege (§ 14 Abs 4 Ziffern 1-3 SGB 11) nicht aus.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Pflegegeld.
Die Ende März 1981 geborene Klägerin leidet an einer Phenylketonurie, dh an einer Stoffwechselerkrankung, bei der es zu einer Störung des Umbaus von Phenylalanin zu Tyrosin kommt. Die Erkrankung wurde unmittelbar nach der Geburt der Klägerin im Wege eines Guthrie-Test diagnostiziert und seitdem ständig behandelt. Im Dezember 1994 beantragte die Klägerin Pflegegeld nach dem Pflegeversicherungsgesetz, nachdem zuvor Leistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit nach dem SGB V von der Beklagten abgelehnt worden waren. Die Beklagte ließ durch den MDKN auf der Grundlage eines Hausbesuches am 01. Februar 1995 ein Gutachten zur Feststellung des Umfanges des Hilfebedarfes der Klägerin fertigen (Gutachterin Frau Dr K.). Die Gutachterin führte aus, daß die zum Begutachtungszeitpunkt 13jährige Klägerin normal entwickelt sei und Hilfe bei der Zusammenstellung der Nahrung anhand von Tabellen mit Angabe der Phenylalaninwerte benötige, weil sie sich damit nicht sicher auskenne. Bestimmte Nahrungsmittel müßten bestellt, andere im Reformhaus gekauft werden. Es müsse regelmäßig doppelt gekocht werden.
Mit Bescheid vom 11. Mai 1995 lehnte die Beklagte nach vorheriger Anhörung der Klägerin die Gewährung von Pflegegeld ab, weil Pflegebedürftigkeit im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes bei der Klägerin nicht gegeben sei. Mit ihrem rechtzeitigen Widerspruch wandte die Klägerin ein, daß es bei ihrer Erkrankung lebensnotwendig sei, daß Medikamenteneinnahme und Ernährung genau auf einander abgestimmt seien, weil es ansonsten zu cerebralen Folgeschäden mit geistiger Unterentwicklung bis zum Schwachsinn komme. Die Beurteilung des Hilfebedarfes durch den MDKN sei unzureichend, vielmehr müsse ein Facharzt hinzugezogen werden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 13. Juli 1992 mit der Begründung zurück, daß lediglich ein erhöhter Bedarf bei der Nahrungsmittelzubereitung bestehe. Dies begründe jedoch nicht die Voraussetzungen der Pflegestufe I.
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Oldenburg durch Urteil vom 14. März 1996 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß die besonders aufwendige Vorbereitung der Nahrung der Klägerin nicht zu den in § 14 Abs 4 Ziffern 1-3 SGB XI genannten Verrichtungen im Grundpflegebereich gehöre und insbesondere auch nicht unter den Begriff "mundgerechtes Zubereiten" der Nahrung zu subsumieren sei. Es sei auch nicht angängig, sie als Maßnahme der Behandlungspflege dem Grundpflegekatalog in erweiternder Auslegung des § 14 Abs 4 SGB XI zuzuordnen. Die in § 14 Abs 4 SGB XI genannten Verrichtungen seien konkret im einzelnen aufgeführt und die Vorschrift ließe nach ihrem Wortlaut nur den Schluß zu, daß es sich dabei um eine abschließende Aufzählung handele. Es sei auch zu berücksichtigen, daß im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung in § 37 Abs 3 SGB V ein Leistungsausschluß für häusliche Krankenpflege gelte, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang pflegen und versorgen könne. Es sei nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber diesen Leistungsausschluß durch das Pflegeversicherungsgesetz habe aufheben wollen.
Gegen dieses ihr am 30. April 1996 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 24. Mai 1996 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, der medizinische Sachverhalt sei durch das Gutachten des MDKN nicht hinreichend aufgeklärt worden. Es seit notwendig, fachärztliche Auskunft darüber einzuholen, wie sich ihre Erkrankung auswirke und welche Maßnahmen im einzelnen zu ergreifen seien.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 14. März 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 1995 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab 01. April 1995 Pflegegeld in Höhe von wenigstens 400,00 DM monatlich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil und die angefochtenen Bescheide für zutreffend. Darüber hinaus macht sie geltend, daß die Annahme von Pflegebedürftigkeit nach der Pflegestufe I bereits daran scheitere, daß die Klägerin Hilfe nicht bei wenigstens 2 Verrichtungen aus dem im Gesetz aufgeführten Katalog benötige. Im übrigen bestehe der Pflegebedarf ausschließlich in der Behandlung der Stoffwechselkrankheit, die keiner der Verrichtungen des § 14 Abs 4 SGB XI zugeordnet werden könne.
Entscheidungsgründe
Die gem §§ 143 und 144 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zuläs...