Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankengeld. Arbeitsunfähigkeit. Verweisbarkeit. gleichgeartete Tätigkeit. ähnlich geartete Tätigkeit. allgemeiner Arbeitsmarkt. ungelernte Tätigkeit. ungelernter Versicherter
Leitsatz (amtlich)
1. Die Frage der Arbeitsunfähigkeit eines Versicherten richtet sich nach seiner Verweisbarkeit.
2. Ist das bisherige Arbeitsverhältnis beendet, kommt es für die Verweisbarkeit auf das berufliche Bezugsfeld der ähnlichen oder gleichgearteten Tätigkeit an.
3. Auch der ungelernte Versicherte kann nur auf ähnliche oder gleichgeartete Tätigkeiten verwiesen werden, die den Bedingungen seines bisherigen Arbeitsverhältnisses entsprechen. Eine Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ist nicht zulässig.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Weitergewährung von Krankengeld, streitig ist insbesondere die Verweisbarkeit des Klägers.
Der im Jahre 1959 geborene deutschstämmige Kläger ist 1990 aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt. Nach seinen Angaben hat er in Polen eine Ausbildung als Maurer durchlaufen.
Seit dem 1. Juli 1994 war der Kläger als ungelernter Bauhelfer bei der Firma H beschäftigt. Im Jahre 1995 wurde er wegen Wirbelsäulenbeschwerden wiederholt krankgeschrieben. Die daraufhin erfolgte Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom 20. Oktober 1995 nahm die Firma H vor dem Arbeitsgericht --ArbG-- Osnabrück (Az.: 3 Ca 634/95) zurück. Sie kündigte erneut zum 31. März 1996 (ArbG Az.: 1 Ca 226/96).
Seit dem 12. Oktober 1995 war der Kläger arbeitsunfähig. Im Februar 1996 wurde in der P in O eine Bandscheibenoperation durchgeführt, an die sich eine Anschlussheilbehandlung in der D Klinik B I anschloss. Nach Begutachtungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) -- Dr B vom 11. Juni 1996 und Dr M vom 15. August 1996 -- stellte die Beklagte mit Bescheid vom 26. August 1996 die Krankengeldzahlung mit dem 27. August 1996 ein.
Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch zahlte die Beklagte das Krankengeld zunächst weiter und holte ein Gutachten des MDKN, Frau S -- vom 1. Oktober 1996 -- ein. Frau S führte aus, das Leistungsvermögen sei insoweit eingeschränkt, dass Arbeiten verbunden mit Heben und Tragen von Gewichten über 10 kg und in gebückter oder Zwangshaltung nicht verrichtet werden könnten; leichte Arbeiten könnten vollschichtig ausgeführt werden. Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 16. Oktober 1996 mit, dass das Krankengeld endgültig mit dem 17. Oktober 1996 eingestellt werde.
Während des Widerspruchsverfahrens ist der Kläger vom 5. bis 19. November 1996 erneut in der P Klinik in O wegen chronischer Lumbo-Ischialgie nach Bandscheibenoperation LW 5/SW 1 links behandelt worden. Am 7. November 1996 erstattete die Medizinaloberrätin Dr W ein arbeitsamtsärztliches Gutachten, in dem sie zu der Beurteilung kam: Der Kläger könne vollschichtig leichte, zeitweise mittelschwere Arbeiten verrichten unter Schutz vor Nässe, Kälte, Zugluft und Temperaturschwankungen, ohne häufiges Bücken, nicht in Zwangshaltungen (zB Überkopfarbeit, Knien, Armvorhalte) sowie mit Heben und Tragen nicht über ca 10 -- 15 kg. Vom 26. November bis 24. Dezember 1996 absolvierte der Kläger ein Rehabilitationsverfahren auf Kosten der Landesversicherungsanstalt (LVA) Hannover. Nach dem Entlassungsbericht von Dr S vom 8. Januar 1997 wurde der Kläger als arbeitsunfähig entlassen. Zum Leistungsvermögen ist ausgeführt, der Kläger könne vollschichtig leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten verrichten im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen, mit Einschränkungen im Bewegungs- und Haltungsapparat. Am 4. und 5. Februar 1997 befand sich der Kläger erneut in der P-K O wegen eines Schmerzsyndroms der Iliosakralfuge links. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, weil bei einem ungelernten Arbeiter, wie es der Kläger sei, der Rahmen für die Beurteilung ähnlich gearteter Tätigkeiten bei der Begründung von Arbeitsunfähigkeit relativ weit zu ziehen sei.
Gegen den im am 5. März 1997 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 7. April 1997 -- einem Montag -- Klage erhoben. Mit Urteil vom 19. Februar 1998 hat das Sozialgericht (SG) Osnabrück den Bescheid der Beklagten vom 16. Oktober 1996 und den Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 1997 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, Krankengeld über den 16. Oktober 1996 bis zum Ende der 78-Wochenfrist zu gewähren. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Mit seinem eingeschränkten Leistungsvermögen sei der Kläger zumindest in der ersten Blockfrist arbeitsunfähig krank gewesen. Gleichgültig, ob der Kläger gelernte oder ungelernte Tätigkeiten auf dem Bau verrichtet habe, hätten doch diese Tätigkeiten seiner Arbeit das Gepräge gegeben. Auch ungelernte Bauarbeiter trügen nicht nur Gegenstände hin und her, sondern müßten bei der Errichtung von Bauwerken mit Hand anlegen. Da der Kläger körperlich nur noch leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Heben und Tragen schwerer Laste...