Entscheidungsstichwort (Thema)
Quasi-Berufskrankheit. neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft. Blasenkrebs
Orientierungssatz
Zur Nichtanerkennung einer Blasenkrebserkrankung eines Tankwarts als Quasi-Berufskrankheit gem § 551 Abs 2 RVO, da nach derzeitigem medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand ein signifikantes Erkrankungsrisiko bei Tankwarten gegenüber der Allgemeinbevölkerung nicht nachweisbar ist.
Tatbestand
Der 1939 geborene Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung einer Blasenkrebserkrankung als Berufskrankheit.
Nach der Schulausbildung absolvierte der Kläger von 1955 bis 1958 eine Lehre als Tankwart im Autohaus S in B. Anschließend war er 1 1/2 Jahre als Tankwart bei der Esso-Tankstelle in B tätig, in der Folgezeit bis Oktober 1960 arbeitete er beim VW-Werk in H, ohne dort allerdings nennenswerten Schadstoffbelastungen ausgesetzt gewesen zu sein. Nach einer kurzen Tätigkeit bei der Gasolin-Tankstelle Z in H war der Kläger von März 1961 bis 1982 im Tankstellenbetrieb seines Bruders, des Zeugen R Sch, angestellt. Die Hälfte seiner Tätigkeit in dieser Bedienungstankstelle entfiel auf das Betanken von Fahrzeugen, im Übrigen befasste sich der Kläger schwerpunktmäßig mit dem Waschen von Fahrzeugen und dem Aufbringen von Unterbodenschutz. Daneben befasste er sich auch mit kleineren Reparaturarbeiten, dem Wechsel von Reifen und half gelegentlich auch bei Lackierarbeiten mit. Die in der Folgezeit ebenfalls an Blasenkrebs erkrankte Ehefrau des Bruders arbeitete ebenfalls in dem Tankstellenbetrieb mit, und zwar insbesondere an der Kasse und in der Buchführung.
Nach der Aufgabe des Tankstellenbetriebes durch seinen Bruder arbeitete der Kläger von 1982 bis 1991 weiterhin als Tankwart, und zwar zunächst bei der Firma B R und in der Folgezeit wieder beim Autohaus S.
Über etwa 20 Jahre hinweg bis 1991 rauchte der Kläger täglich etwa 4 bis 5, mitunter möglicherweise auch mehr, Zigaretten am Tag; 1987/88 musste er sich einer viermonatigen stationären Heilbehandlung wegen chronischem Alkoholismus unterziehen; seitdem ist der Kläger, soweit nach Aktenlage ersichtlich, "trocken".
Im Sommer 1991 wurde bei dem Kläger ein Urothelcarcinom der Harnblase diagnostiziert, aufgrund dessen eine radikale Cystektomie mit pelviner Lymphknotendissektion durchgeführt und ein Ileumconduites angelegt wurde. Aufgrund dieser Erkrankung bewilligte die Landesversicherungsanstalt Hannover dem Kläger Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Nachdem die behandelnden Ärzte Dres. K, B und E in einem Schreiben vom 1. August 1991 den Verdacht einer beruflichen Verursachung der Blasenkrebserkrankung geäußert hatten, leitete die Beklagte ein Feststellungsverfahren ein. Sie führte insbesondere arbeitstechnische Ermittlungen durch und holte eine gewerbeärztliche Stellungnahme von Dr. G vom 13. Juli 1992 ein.
Mit Bescheid vom 9. September 1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 1993 lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit mit der Begründung ab, dass sich ein Ursachenzusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers als Tankwart nicht habe wahrscheinlich machen lassen.
Mit der am 3. Juni 1993 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit als Tankwart insbesondere mit Benzin, Ölen, Diesel, Frostschutz, Kaltreiniger, Lösungsmitteln und Farben in Berührung gekommen sei. Die Beklagte habe eine sorgfältige Überprüfung der Zusammenhangsfrage versäumt. Von Seiten des Klägers werde die Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. N angeregt.
Das Sozialgericht hat daraufhin ein Gutachten von Prof. Dr. N und G-T vom 21. Juli 1994 eingeholt, demzufolge sich ein ursächlicher Zusammenhang des klägerischen Tumorleidens mit seiner beruflichen Tätigkeit nicht feststellen lässt.
Das Sozialgericht hat ferner auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten von Prof. Dr. F-B vom 30. März 1996 eingeholt. Nach Einschätzung dieses Sachverständigen kommt im Fall des Klägers eine Berufskrankheit nach den Ziffern 1302, 1301, 1303 und/oder 1304 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) in Betracht, da während der mehr als 30jährigen klägerischen Berufstätigkeit weder Einwirkungen von Benzol noch solche von Nitrosaminen ausgeschlossen werden könnten, zumal die Beschäftigten diesen Schadstoffen in den Jahren vor 1970 in erheblich höherem Maße ausgesetzt gewesen seien als in der Folgezeit. Der Kläger wäre ohne seine berufliche Tätigkeit mit großer Wahrscheinlichkeit nicht bereits im Alter von 52 Jahren an Blasenkrebs erkrankt, dementsprechend dürfe ihm auch das Fehlen einer eine Risikoerhöhung bei Tankwarten belegenden Studie nicht zum Nachteil gereichen. Den krankheitsbedingten Grad der MdE hat Prof. Dr. F-B mit 100 vH bewertet.
Diesem Gutachten ist die Beklagte gestützt auf eine von ihr eingeholte Stellungnahme von Dr. J vom 8. Juli 1996 entgegengetreten.
Das Sozialgericht hat den Bruder des Klägers R Sch als Zeugen gehört. Dieser hat unt...